Auf dem Weg zu Jakob
heiße Luft wird stehen bleiben.
Als ich im Bett liege, höre ich noch, wie draußen plötzlich ein Wolkenbruch losgeht. Gut, dass ich jetzt nicht im Zelt bin.
Krank durch León
Ich weiß nicht, ob es der Truthahn, der Karamellpudding von gestern Abend oder gar die Kirschen waren, die ich wenig gut gewaschen am Nachmittag verspeist hatte, jedenfalls schlafe ich gegen den frühen Morgen zunächst unruhig und wache dann schweißgebadet auf. Ja, es ist noch immer warm. Aber das ist es nicht. Mein Bauch rumort. Mich hat's erwischt. Ich bin nur froh, dass es wenigstens kein Brechdurchfall ist.
Hunger habe ich eigentlich keinen, aber ich zwinge mich in den Frühstücksraum und bestelle nur Tee und Toast. Die anderen Gäste brechen schon auf, und so sitze ich da in diesem großen, menschenleeren Raum. Nur der Fernseher blökt die Nachrichten heraus. Seit ich unterwegs bin, habe ich mich nicht um das Weltgeschehen gekümmert. Aber vom Ignorieren allein wird die Welt auch nicht besser. Es gibt einen Bericht über die ETA.
Den Wunsch nach Separatismus, vielleicht auch nur mehr Autonomie, wenn auch nicht in derselben Form wie von der ETA vorgetragen, schlägt einem aber auch in der Meseta ins Gesicht. Man liest von „Puta Castilia“ (frei übersetzt: Scheiß-Kastilien) und wünscht sich „León solo“, ein separates León.
Ich nippe am Tee, knabbere am Toast, bezahle und checke aus. Heute will ich bis León fahren, aber mir unterwegs zumindest noch den Camino Real anschauen. Nach Radfahren ist mir im Moment gar nicht. Nach dem heftigen Regen in der Nacht ist es heute bedeutend frischer. Ein kühler Wind weht auch. Da ich mich nicht so ganz fit fühle, tut mir das kühlere Wetter recht gut.
Etwa 5 km außerhalb von Sahagún liegt das kleine Calzada del Coto . Das Dorf ist voller Leben, denn die Kinder warten hier alle auf den Schulbus, die Mütter nutzen die Gelegenheit zum Plauschen. Und da wird noch ein Kind gebracht, per Traktor. Der Vater wird gleich weiter auf die Felder fahren. Der Bus kommt, die Kinder steigen ein, die Mütter winken, und schon nach wenigen Minuten ist wieder totale Stille in den kleinen Ort eingekehrt, als gäbe es hier keinen Menschen. An klassischen Sehenswürdigkeiten hat das landwirtschaftlich geprägte Dorf natürlich nichts, aber man hat, um den Fleiß der arbeitenden Menschen zu würdigen, zwei Metallplastiken aufgestellt, die die Landbevölkerung bei der Arbeit zeigen ( Seite 106).
Von hier fahre ich nach Bercianos del Real Camino, wo ich gestern auch schon war und treffe jetzt auf den Camino Real, in der Literatur auch häufig als „Pilgerautobahn“ bezeichnet. Was ich vor mir sehe, ist der Beginn einer schnurgeraden Piste durch die Meseta, Piste bis zum Horizont. Links verläuft ein geschotterter Fußweg, rechts eine breitere Fahrspur, gesäumt von einer Reihe kürzlich gepflanzter Pappeln, von denen jedoch nicht alle angewachsen sind ( Seite 2-3). Hier und da ragt ein abgestorbener Baum aus dem Boden.
Ermöglicht wurde diese Pilgerrennstrecke durch zweckgebundene EU-Gelder, die zum Ausbau des Europäischen Kulturerbes bereit gestellt wurden.
Ob das Projekt nun optimal umgesetzt wurde, darüber lässt sich sicherlich streiten. Keine Frage, über die Fahrzeugpiste gelangen die Landwirte mit ihren Maschinen bequem zu ihren großen Feldern, was zuvor nur über schlechte Wege möglich war. Auch möchte bestimmt der eine oder andere Pilger diese nicht enden wollende, baumlose, spröde Mesetalandschaft, die sicher nach dem x-ten Kilometer ja auch etwas langweilig wird, so schnell wie möglich durchqueren. Und das geht eben am besten, wenn die Strecke ohne jegliche Umwege geführt ist.
Überhaupt scheint dieses ein wenig die Philosophie der modernen Straßenbaupolitik in Spanien zu sein. Egal, ob da nun gerade der historische Camino verläuft, oder eine alte Römerstraße, nicht selten pflastern die neuen Straßen etwas Altes einfach zu, und dies eben manchmal rücksichtslos. Ein schöner Weg als Selbstzweck? Nein, schnelles Ankommen ist gefragt, ein Prinzip, das ich schon häufig in südlichen Ländern bei Autofahrern beobachtet habe. Sie riskieren ihr Leben und das ihrer Mitmenschen in halsbrecherischen Überholmanövern, nur um auf dem Parkplatz des nächsten Geschäftes einen nicht enden wollenden Tratsch mit einem Bekannten abzuhalten - dafür ist ausreichend Zeit vorhanden.
Langsam rolle ich auf dem Wirtschaftsweg entlang, Kilometer um Kilometer. Ich glaube,
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