Auf den ersten Blick
meine Klasse kam, und hielt einen Moment inne.
Da drüben, im Fenster – winzig klein, fast unsichtbar, vermutlich nur für mich auszumachen – ein Sprung und eine eilig ausgeführte Reparatur.
Der einzige Beweis dafür, dass es überhaupt passiert war.
Mein Blick fiel auf das Gebäude. Welches Fenster war es gewesen?
Da klingelte es, und ich schreckte auf.
Und sagte mir, dass ich mich zusammenreißen musste.
»Oi, Sir!«, sagte ein Junge am Tor.
Vor ein, zwei Tagen hatte es hier eine Schlägerei zwischen jemandem vom St. John’s und einer Gruppe Jungs vom Technischen College bei Stokey gegeben. Mr Willis und ich sollten als eine Art Schutzwall wirken, damit so etwas nicht mehr vorkam, obwohl ich einer Schlägerei noch nie näher gekommen war als an jenem Abend in Whitby, als ich von einem ehemaligen Schüler gerettet wurde. Und Mr Willis sah zunehmend aus wie ein Mann, der Huptöne sammelte.
Ich sah mir den Jungen an. Vielleicht vierzehn oder so. Hielt die Reste eines Schokoriegels in der Hand. Er hatte seine Krawatte so gebunden, dass sie ultrakurz war. Ich weiß nicht, wie man das macht. Wahrscheinlich kaufen sie sie gleich in Kindergrößen. »Sie sind doch Mr Priestley, oder?«
»Ich bin Mr Priestley, ja.«
»Ich bin Tony. Sie kennen meinen Bruder«, sagte er, während ich über seine Schulter hinwegblickte. Ein Junge stieß einen anderen an die Mauer, dann sahen beide zu mir herüber, schuldbewusst, und lachten laut, um zu zeigen, dass sie Freunde waren. »Matt Fowler?«
Matts Bruder?
»Kenn ich«, sagte ich. »Hab ihn aber lange nicht gesehen. Wie geht es ihm?«
»Viel zu tun«, sagte er.
»In der Werkstatt?« Vielleicht hatten mir die Typen neulich einen Bären aufgebunden. Er könnte sonst wo gewesen sein. Tee holen. Krank. Spielhalle.
»Da isser nich mehr.«
»Da ist er nicht mehr. Ja, das habe ich schon gehört. Wo ist er jetzt?«
»Burger King, oder was?«
»Nach ›Burger King‹ an dieser Stelle ›oder was‹ zu sagen, passt irgendwie nicht. Wieso arbeitet er bei Burger King? Was ist mit der Werkstatt?«
Der Junge zuckte mit den Schultern und zog die Nase hoch.
»Hatte kein Bock mehr. Konnte nicht das und sein Kurs machen. Also macht er vier Nächte Burger King und sonst Queen’s Head.«
»Du solltest mal an deiner Grammatik arbeiten, Tony«, sagte ich. »Und was meinst du damit? Seinen Kurs?«
Ich hab’s begriffen.
Jetzt habe ich es begriffen.
Was mir bei Matt immer Sorgen bereitet hatte, war sein Zorn. Es war ein Zorn, den ich natürlich in der Schule erlebt hatte, an dem Tag, an dem er fast einem Jungen mit einer Kompassnadel die Augen ausgestochen hatte … wobei das natürlich davon abhängt, wem man Glauben schenkte. Die Schulkonferenz glaubte dem Jungen. Er hatte von einem »grundlosen Angriff« gesprochen. Sobald Matt da wegkonnte, war er weg. Ursprünglich hatte ich geglaubt, es sei ein Irrtum gewesen, Matt sei ungerecht behandelt worden und habe den Glauben an das System verloren. Doch dann, an jenem Abend in Whitby, als er uns mit seiner Machtdemonstration gerettet hatte, war ich ebenso dankbar wie irritiert gewesen. Denn ich hatte seinen Zorn aus nächster Nähe erlebt. Das Gebrüll, die Wut, alles hübsch mithilfe einer Eisenstange und einer Telefonzelle demonstriert.
Aber jetzt begriff ich. Es war kein Zorn. Es war Frust .
Matt Fowler hatte seinen Job in der Werkstatt beim Chapel Market aufgegeben, um etwas zu machen . Er hatte eine Erleuchtung gehabt, über die sich seine Kollegen so amüsierten. Und diese hatte ihn zu einem Teilzeitstudium geführt. Dienstags und donnerstags von 19 : 00 bis 22 : 00 Uhr. Samstags von 10 : 00 bis 17 : 00 Uhr. Viereinhalbtausend Pfund an Studiengebühren, aber am Ende hätte er was vorzuweisen. Er hatte sein Rad verkauft, seine PlayStation, sein Handy, alles Mögliche, und dann hatte er bei der Werkstatt gekündigt. Er arbeitete pausenlos, um es zu schaffen, aber das war es doch, das hieß etwas machen . Genauer gesagt: ein Grundkurs in »Sound Engineering & Music Production«, in der Nähe der Denmark Street.
Ich musste an Whitby denken. »Ich will was machen «, hatte er gesagt. Ich hatte gedacht, er meinte, aus sich . Wie sich herausstellte, meinte er beides.
Als ich nach Hause kam, sah ich mir im Netz alles an. Es gab nur fünf Schüler pro Kurs. Er lernte alles über Mixing, Patching, Multitracking, Kompression, Signalfluss, Noise Gates, Digital Delays, DAW Sequencing, VCO s, VCF s, VCA s und Millionen anderer Dinge,
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