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Auf den zweiten Blick

Auf den zweiten Blick

Titel: Auf den zweiten Blick Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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begriff, daß er nervöser war, als er sich anmerken lassen wollte.
    »Ich habe mir gedacht: Was bringt man einer Frau mit, die gerade dabei ist, die Geschichte der menschlichen Evolution umzuschreiben? Blumen schienen mir irgendwie nicht angebracht.
    Aber ich wußte noch von meinem letzten Besuch in Tansania, daß die Küche hier ein bißchen zu wünschen übrigläßt -«
    »O Alex!« rief ich und warf mich in seine Arme. Seine Hände flogen über meinen Rücken, lernten meinen Körper von neuem kennen. Ich atmete den vertrauten Duft seiner Haut ein und strich die Falten in seinem Reiseanzug glatt. »Ich dachte, du seist wütend auf mich«, sagte ich.
    »Wütend auf mich«, gab Alex zu. »Bis ich gemerkt habe, daß ich mich absichtlich wie ein Arschloch aufgeführt habe, damit wir uns wieder versöhnen können.«
    Ich hielt sein Gesicht in meinen Händen. Seit er vor mir stand, war ich zum Bersten voll; mir war unbegreiflich, daß ich zuvor nicht gemerkt hatte, wie leer ich gewesen war. »Ich verzeihe dir«, sagte ich.
    »Ich habe mich noch gar nicht entschuldigt.«
    Ich ließ meine Stirn gegen sein Kinn sinken. »Das ist mir egal.«
    Sanft drückte er mein Gesicht nach oben. Ich hörte, wie draußen eine Kiste aufgestemmt wurde und die Studenten sie fröhlich jubelnd ausräumten. »Wenn dieser Fund tatsächlich so was wie ein Oscar für dich ist«, sagte Alex, »dann bin ich stolzer auf dich, als du dir überhaupt vorstellen kannst.«
    Ich lehnte mich an ihn. Neben Alex’ Worten verblaßten die anerkennenden Worte, die Archibald Custer mir gegenüber geäußert hatte, und all die Lobeshymnen, die mir die Hand eintragen würde. Nur seine Meinung zählte für mich.
    Wir speisten fürstlich an jenem Abend, auch wenn das Lagerfeuer dem Kalbfleisch mit Zitrone einen etwas unorthodoxen, rauchigen Beigeschmack verlieh; Alex plauderte mit meinen studentischen Hilfskräften und brachte sie zum Lachen, indem er ihnen erzählte, was er in seiner Rolle als Anthropologe alles falsch gemacht hatte, bevor ich auf der Bildfläche erschienen war und ihn aufgeklärt hatte. Als die fünf Studenten sich ein paar Flaschen Bordeaux schnappten und vorschlugen, am Rande des Ausgrabungsgeländes weiterzufeiern, lehnte Alex ihr Angebot ab. Er nahm die letzte Flasche Wein und reichte mir die Hand zum Aufstehen, als hätten wir das vorher abgesprochen.
    Er band den Eingang meines Zeltes zu, während ich mit dem Rücken zu ihm dastand und auf den Kamm, die Zahnbürste, die Zahnpasta neben der angeschlagenen Waschschüssel schaute. Ich runzelte die Stirn, irgendwas mußte ich Alex noch sagen, aber es wollte mir einfach nicht einfallen. Seine Hände legten sich um meine Taille. »Anscheinend ist Tansania einfach unser Schicksal«, bemerkte er.
    Es war unmöglich, nicht an die erste Nacht zu denken, in der wir uns geliebt hatten; wie damals tanzten die Flammen orangerot über die Zeltwand, der Wind strich leise stöhnend durch die Hügel, und die schwere, samtene afrikanische Nacht brachte uns immer näher zusammen.
    Als wir uns liebten, war es wie der Regen in Zentralafrika: schnell, ohne Vorwarnung und mit einer solchen Wucht, daß man tagelang aus dem Fenster in die Sturzfluten starrt und sich fragt, ob die Welt jemals anders war. Als alles vorbei war, lagen wir einander in den Armen, halb angezogen und schweißgebadet, und ließen unsere Finger rastlos über unsere nackte Haut gleiten, um auf keinen Fall den Kontakt zu verlieren.
    Wir tranken den Bordeaux aus der Flasche und schauten faul und zufrieden den Flammen zu, wohl wissend, daß es ein langsames, genüßliches zweites Mal geben würde. Gedankenverloren fuhr ich mit dem Finger über Alex’ Handgelenk. »Es bedeutet mir sehr viel«, sagte ich, »daß du hergekommen bist.«
    Alex küßte mich aufs Ohr. »Wie kommst du darauf, daß ich deinetwegen hier bin?« fragte er. »Drei Wochen Keuschheit sind die Hölle.«
    Ich lächelte und schloß die Augen, und dann wurde ich steif und schoß hoch. Keuschheit. Plötzlich fiel mir wieder ein, was ich ihm hatte sagen wollen.
    Als ich in Tansania meine Sachen auspackte, hatte ich gemerkt, daß ich meine Pille zu Hause gelassen hatte. Erst hatte ich mit dem Gedanken gespielt, mir hier ein Rezept ausstellen zu lassen, falls es hier so etwas überhaupt in der Apotheke gab; dann war mir aufgegangen, daß ich hier, fast am anderen Ende der Welt, wohl kaum schwanger werden würde. Aber jetzt war Alex bei mir, und wir hatten miteinander geschlafen, und

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