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Auf den zweiten Blick

Auf den zweiten Blick

Titel: Auf den zweiten Blick Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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locken.
    Ich atmete den Geruch seiner Seife und seines Schweißes ein. »Tut mir leid«, murmelte ich. »Standardtanzen war noch nie meine Stärke.«
    Alex’ Lachen drang wie ein tiefes Grollen an mein Ohr. »Alles nur Übung«, sagte er. »Meine Mutter hat mich zweimal die Woche zum Unterricht geschickt. Ich hab’s gehaßt - diese weißen Handschuhe und die einparfümierten, fetten Mädchen, die mir ständig auf die Zehen stiegen -, aber ich will verdammt sein, wenn ich auch nur einen einzigen Tanzschritt vergessen habe.«
    Ich lächelte, das Gesicht in seinem Hemd vergraben. »Wahrscheinlich hast du dir im Unterbewußtsein gewünscht, mal zum Debütantinnenball zu gehen. Oder Fred Astaire zu sein.«
    Alex schmunzelte. »Wohl kaum.« Er strich mir sanft übers Haar, und ich erblühte unter der Berührung. »Ich glaube, mein Körper hat einfach das Training genossen.«
    Ein paar Abende zuvor hatte er mir erzählt, daß er mit einem Loch im Herzen geboren wurde, daß er nicht laufen und spielen durfte, bis er beinahe acht Jahre alt war. »Stell dir das vor«, hatte Alex trocken gesagt. »Ein romantischer Held mit gebrochenem Herzen.«
    Aus seiner Stimme hatte Müdigkeit gesprochen und die Traurigkeit eines kleinen Jungen, der sich für verkrüppelt hielt und alles in seiner Macht tat, um seine Schwäche wettzumachen. Ich fragte mich, warum er mir das erzählt hatte. Und ich gaukelte mir vor, er habe mich ins Vertrauen gezogen, weil er glaubte, daß ich ihn wirklich verstehen würde.
    Als ich gedankenverloren meine Augen an seiner Brust schloß, versteifte Alex sich und setzte sich auf. Ich senkte den Blick, beschämt, weil es ihm unangenehm war, daß ich ihn hielt. Ich schüttelte den Kopf und legte mir die Gründe zurecht, warum Alex Rivers niemanden wollte - niemanden brauchte -, der so unerfahren war wie ich.
    Alex sah mich an. »Es hat viele Frauen in meinem Leben gegeben«, erklärte er vorsichtig, »aber ich lasse niemanden an mich heran. Das mußt du verstehen. Um die Wahrheit zu sagen, ich will nicht noch einmal enttäuscht werden. Nicht durch die Unzulänglichkeit eines anderen Menschen, und ganz besonders nicht durch meine. Also tue ich so, als sei es nicht so wichtig.« Er schüttelte den Kopf. »Cassie«, sagte er, »ich bin es leid, mich immer zu verstellen.«
    Instinktiv schmiegte ich mich an ihn und fuhr mit der Hand unter sein Hemd. Er erklärte mir, was ich nicht von ihm erwarten durfte, dabei wußte ich, daß es längst zu spät war. Ich hatte nicht viele Beziehungen gehabt, aber ich hatte Connor gehabt, deshalb wußte ich, daß so alles anfing. Man verliebt sich in einen Mann wegen seines Lächelns oder weil er einen zum Lachen bringt oder, wie in diesem Fall, weil er einen glauben macht, daß man die einzige ist, die ihn retten kann. Wenn es schließlich soweit sein würde, wäre es für Alex vielleicht eine kleine Affäre, aber nicht für mich. Bis dahin hätte ich ihm schon zu viel gegeben.
    Ich hörte, wie Alex flach einatmete, als meine Haut über seine glitt und meine Handfläche auf seiner Brust zur Ruhe kam. Ich lächelte in seine Augen und hielt sein Herz in meiner Hand.
    Am Sonntag hatte die Crew frei, obwohl die Freizeitgestaltung in Tansania einiges zu wünschen übrigließ. Ich saß auf einer Schaukel im Schatten, als Alex seinen Arm um meine Taille legte, als sei das die natürlichste Sache auf der Welt.
    Und allmählich kam es mir wirklich so vor. Ich hatte das Ausgrabungsgelände der Uni praktisch ganz verlassen. Seit jenem Abend am Teich, als Alex die Bedingungen für eine Beziehung festgelegt hatte, waren wir unzertrennlich. Alex und ich waren so viel zusammen, daß die Leute mich zu fragen begannen, wo er stecke, wenn sie ihn suchten. Anfangs war es mir ein bißchen unangenehm, wenn er mir beiläufig den Arm über die Schulter legte, während ich ihm zeigte, wie man ein Fragment säubert, oder wenn er mir vor allen anderen erklärte, wann wir zu Abend essen würden. Sein Verhalten erinnerte mich an das Territorialverhalten von Primaten, über das ich in einer Vorlesungsreihe gehört hatte: an Männchen, die ihr Gebiet deutlich markieren, um andere wissen zu lassen, wo sie nicht willkommen sind.
    Aber andererseits hatte sich mir gegenüber noch kein Mann so besitzergreifend gezeigt, daß er versucht hätte, sein Anrecht derart deutlich zu sichern, und sei es auch nur vorübergehend. Und um ehrlich zu sein, ich genoß es. Ich genoß es zu wissen, daß Alex mich morgens als erste

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