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Auf den zweiten Blick

Auf den zweiten Blick

Titel: Auf den zweiten Blick Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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dem Morgen danach -, an den Set kam, ganz darauf bedacht, mich so wie immer zu geben, stellte ich fest, daß man den Drehplan geändert hatte. Statt daß Sven mit dem berüchtigten schwarzen Seil von einem Felsen sprang, sollten Alex und Janet Eggar die einzige Liebesszene im ganzen Film drehen.
    Janet war eine junge Schauspielerin, die, wie Alex sich ausdrückte, ihre allererste FLS - Freizügige Liebesszene - hatte. Durch die Blume hatte Bernie mich wissen lassen, daß Janets Part absolut nebensächlich war; man hatte ihn ins Drehbuch aufgenommen, weil die Leute für den Film zahlen würden, wenn sie ihren Busen zeigte. Ich sah zu, wie sie nervös vom Kostümbildner zur Maske stakste. Sie blieb mit dem Rücken zu mir stehen und machte ihren Morgenmantel auf, um sich den Körper pudern zu lassen.
    Immer wieder versuchte ich, Alex’ Blick aufzufangen. Er war lange vor mir am Set angekommen, um die Änderungen im Drehplan auszuarbeiten, deshalb hatte ich keine Gelegenheit gehabt, ihn auf der Fahrt hierher zu beobachten und festzustellen, was ihm die vergangene Nacht bedeutete. Er hatte mich zurück zur Lodge gefahren und sich an meiner Zimmertür mit einem süßen Kuß verabschiedet, bei dem alles in mir zu summen begann. Aber weil er keinen Klatsch wollte, war er in sein Zimmer verschwunden und hatte mich allein gelassen - allein in meinem Zimmer, wo ich die ganze Nacht nackt unter dem Ventilator lag und mit der Hand den Stellen nachspürte, an denen er mich vor Stunden berührt hatte.
    Als die Sonne aufging, ermahnte ich mich noch mal, daß ich überhaupt nichts erwarten durfte. Wer weiß - vielleicht machte er das bei jedem Film mit einem Mitglied der Crew. Doch was ich mir auch vornehmen mochte, mir war klar, daß ich jeden Eid, den ich mir schwor, brechen würde.
    Alex trug Jeans und kein Hemd, und er war schlecht gelaunt. Er bellte den Technikern Befehle zu und schnauzte Charlie den Gaffer an, weil er ihm im Weg stand. Als ihm Jennifer eine Kopie des Drehbuchs brachte und sich für den Kaffeefleck auf einer Seite entschuldigte, hätte man meinen können, er würde ihr gleich den Kopf abreißen.
    Aber als er Janet erblickte, die bleich und zitternd vor den Kameras wartete, schien er weich zu werden. Ich sah, wie seine Augen an ihrem Bademantel auf- und abwanderten und dann wieder ihr Gesicht betrachteten. Er ging zu Bernie und unterhielt sich leise mit ihm, dann bat der Regisseur mit erhobenen Händen um Ruhe. »Der Set wird geschlossen«, verkündete er. »Alle, die nichts mit dieser Szene zu tun haben, fahren zurück zur Lodge. Wir treffen uns nach dem Mittagessen wieder.«
    Ich beobachtete, wie Bernie Janet zum Zelt führte, an jene Pritsche, auf der Alex und ich uns am Abend zuvor geliebt hatten. Er redete gestikulierend auf sie ein, und sie nickte und stellte ein paar Fragen. In der Ferne hörte ich die Jeeps abfahren, und plötzlich wurde mir bewußt, daß nur noch eine Handvoll Leute da waren.
    Ich hatte überhaupt nichts mit dieser Szene zu tun – alle technischen Ratschläge, die ich geben konnte, würden jemandem wie Janet Eggar wenig helfen. Aber ich sah, wie sie sich auf die schmale Pritsche legte, und dann verwandelte sich ihr Gesicht in meines, und ich wußte, daß ich auf gar keinen Fall gehen würde.
    Bernie kam zu mir. »Sie sind noch da?« fragte er. »Haben Sie denn nicht gehört, was ich gesagt habe?«
    Bevor ich den Mund aufmachen konnte, stand Alex neben mir und legte mir die Hand auf die Schulter. »Sie bleibt«, stellte er schlicht fest.
    Bernie nahm seine Position neben der Kamera ein und ging mit Alex und Janet - er in Jeans, sie im Bademantel - die Szene durch. Wenn mir die Situation nicht so unangenehm gewesen wäre, hätte ich wahrscheinlich lachen müssen: Ich konnte mir nicht vorstellen, Anweisungen entgegenzunehmen, auf welche Wange ich jemanden küssen solle, wo ich meine Hände hinlegen dürfe und wo nicht, wie ich zu atmen hätte. Janet und Alex hatten jeweils eine kleine Dose Atemspray unter dem Kissen, und als Bernie die Szene zu seiner Zufriedenheit arrangiert hatte, sprühten sich beide etwas in den Mund und gingen ganz professionell ans Werk.
    Jane zog unter dem weißen Laken ihren Bademantel aus, wobei Alex sie galant vor den Blicken der Kameramänner abschirmte. Dann schlüpfte Alex aus seinen Jeans, als tue er so was jeden Tag, und kletterte splitternackt auf die Pritsche.
    Es war schauderhaft. Janet versagte mitten im Satz die Stimme; sie küßte Alex, als liege sie

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