Auf die Ohren
Kann im Refrain ja nicht schaden. Und dieses Ding ist so simpel, dass selbst die hohlste Nacktbirne nach zwei Zeilen mitgrölen kann. Von daher erfüllt es völlig seinen Zweck. Die Idee, den Bandnamen im ersten Song vorzustellen, ist allerdings von uns geklaut, das haben wir schon vor einem Jahr gemacht. Mein Gott, was war das denn gerade für ein Übergang zurück in die Strophe? So viele Takte, auf die man falsch einsetzen könnte, gibt’s doch gar nicht.
Wir klauen eure Kohle!
Wir saufen euch alles weg! …
Ha, ha! Wie geil! Da sind dem asozialen Gesindel wohl keine asozialen Sachen mehr für die nächsten Strophen eingefallen, also werden einfach die ersten zwei wiederholt! Wie erbärmlich ist das denn!
»Okay!«, brüllt Vinnie. »Das nächste Lied ist für unsere ganz speziellen Freunde dahinten!«
Er zeigt auf uns.
»Es heißt Zecke verrecke! Fickt euch, ihr Arschlöcher!«
Während der Schlagzeuger anzählt, feuert Vinnie eine zerknüllte Bierdose in unsere Richtung. Einer der Antifa-Jungs fängt sie locker mit einer Hand und steckt sie breit grinsend in seine Jackentasche, bevor er Vinnie beide Mittelfinger entgegenstreckt. Mehr passiert zum Glück nicht.
Irgendwann merke ich, dass meine Kehle vom vielen Buhrufen ziemlich trocken geworden ist, und ich beschließe, etwas dagegen zu tun und mir an der Theke im Nebenraum ein Bier zu holen. Als ich Clarissa fragen will, ob ich ihr etwas mitbringen soll, stelle ich fest, dass sie gar nicht mehr neben mir steht. Ich blicke mich um, kann sie aber nirgends entdecken. Wahrscheinlich ist sie auf Toilette – gute Idee, da muss ich auch mal ganz dringend hin.
Nachdem ich mich erleichtert und noch fünf Minuten vergeblich vor der Mädchentoilette auf Clarissa gewartet habe, hole ich mir ein Bier. Die Lust, zu dem Bier eine zu rauchen, ist größer als das Verlangen, mir weitere grottenschlechte Vinnie-Lieder anzuhören, also gehe ich für eine Zigarette nach draußen. Die wohltuend unasoziale Stille genießend, vertrete ich mir ein bisschen die Beine. Ich bin neugierig, wie es hinter dem JUZ aussieht, also gehe ich in diese Richtung. Als ich um die Ecke biege, sehe ich plötzlich Clarissa und Christopher ein paar Meter entfernt stehen. Sie unterhalten sich angeregt, bis sie mich entdecken und ihr Gespräch abrupt abbrechen.
»Hey-ho«, grüße ich sie. »Was macht ihr denn hier? Redet ruhig weiter, vor mir braucht ihr keine Geheimnisse zu haben. Falls ihr irgendwelche konspirativen Pläne schmiedet, wie man Vinnie für immer zum Schweigen bringen kann, ohne dafür in den Knast zu kommen: Ich bin dabei!«
»Nein, leider nicht«, sagt Clarissa lachend. »Ich konnte diesen Mist nur nicht länger ertragen. Ich musste da ganz dringend raus.«
»Ja, ich auch«, sagt Christopher. »Das hält doch keine Sau aus, da kriegt man ja Ohrenkrebs.«
»Selbst dran schuld. Ihr wolltet ja unbedingt hierher«, stelle ich fest.
»Dass es so schlimm wird, konnte ja echt keiner ahnen«, sagt Christopher.
»Ich schon«, sage ich. »Ich hab’s gewusst. Aber auf mich hört ja keiner.«
»Oh, mein armer, hellseherischer Freund«, sagt Clarissa und tätschelt meinen Kopf. »In Zukunft werde ich immer auf dich hören, versprochen.«
»Besser ist das«, sage ich grinsend. »Und jetzt? Was machen wir? Gehen wir noch mal rein?«
»Auf gar keinen Fall«, sagt Christopher bestimmt. »Mich kriegst du da nicht mehr rein. Von mir aus können wir gern sofort abhauen.«
»Ohne den anderen Bescheid zu sagen?«, gebe ich zu bedenken. »Du weißt hoffentlich, was du dann von Lisa zu hören kriegst. Dagegen wird dir Vinnies Gekreische vorkommen wie Engelsgesang.«
»Oh fuck, stimmt ja, Lisa«, stöhnt Christopher über sich selbst entsetzt. »Diese verdammte Drecksmusik hat mich so kirre gemacht, dass ich sogar meine eigene Freundin vergessen habe!«
»Soll ich sie holen?«, fragt Clarissa.
»Nein, das muss ich schon selbst machen«, erwidert Christopher.
»Also doch wieder rein?«, frage ich.
»Ja, aber nur ganz kurz«, sagt Christopher. »Von euch hat nicht zufällig jemand eine Packung Ohropax dabei?«
Als wir den Veranstaltungsraum wieder betreten, geht vor der Bühne gerade eine wilde Pogo-Schubserei ab. Wir umgehen die kreuz und quer durch die Gegend fliegenden Glatzen weiträumig und gesellen uns wieder zu den anderen.
»Da bist du ja!«, sagt Lisa vorwurfsvoll zu Christopher. »Du kannst doch nicht einfach so abhauen, ohne mir Bescheid zu sagen. Wo warst du denn?«
»Ich
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