Auf in den Urwald (German Edition)
kurzen Meldung in der Augsburger Allgemeinen von einem ertrunkenen Unbekannten war nichts geschehen. Und damit das in Zukunft so blieb, musste auch Wilfried beseitigt werden. Er war jetzt noch der Einzige, der die Wahrheit kannte, und das machte ihn überaus gefährlich.
Vanessa Jagenberg machte es sich in ihrem Stuhl bequem und schloss die Augen, wie immer, wenn sie ihrer Fantasie freien Lauf ließ.
Was alles konnte einem geistig behinderten Menschen wie Wilfried im Urwald zustoßen! Ein Sturz in einen reißenden Fluss, ein fehlgeleiteter Schuss aus einem Gewehr, mit dem er unbedingt spielen wollte, der Biss einer giftigen Schlange, die er, arglos wie er war, unbedingt anfassen musste. Die Palette war groß, sie musste sich jetzt noch gar nicht festlegen, das konnte sie an Ort und Stelle viel besser entscheiden. Jetzt, jetzt musste sie nur noch ein wenig Geduld aufbringen, mehr nicht.
Alles kein Problem
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N a, Gringo, alles im Griff?« Berthold hatte den Lastwagen mit der leuchtend roten Aufschrift »Achterbahn– Schaustellerbetriebe Jeschke GmbH« angehalten, lehnte sich lässig aus dem Fenster und grinste zu Edek hoch, der oben auf der Geisterbahn arbeitete.
»Immer«, sagte Edek und schraubte weiter.
Berthold nickte scheinbar anerkennend und ließ seinen Blick über das Gerüst schweifen. »Da habt ihr aber noch ein schönes Stück Arbeit vor euch, wenn der Laden morgen laufen soll.«
»Wo ist Problem?« Edek prüfte die Schrauben, ob sie fest genug angezogen waren.
»Für mich nirgendwo. Wenn der Lastwagen leer ist, hab ich frei. Bis morgen vier Uhr. Bei meinem neuen Chef gibt’s keinen Stress.«
»Nur in Nacht«, sagte Edek bissig, »da muss Berthold viel arbeiten!«
»In Nacht«, machte Berthold Edek nach, wobei er feixte, »alle Leute bei uns in Heia und träumen schön. Ich sag’s ja: kein Stress, ein ganz anderes Leben!«
»Kein Stress ist langweilig. Was für alte Opa ohne Zähne«, schoss Edek zurück.
»Man verliert schneller ’nen Zahn, als man denkt, Gringo!«
»Wenn man denkt, nicht!«
»Gringo ist schlau, aber pass auf, vielleicht gibt’s bald eine hier drauf ...« Berthold tippte sich heftig gegen die Stirn.
Edek nickte. »Nicht so fest, Berthold. Wenn Birne faul, ist Finger schnell drin und Gehirn ist kaputt!«
Berthold spuckte verächtlich durch seine Zahnlücke. »Wart’s ab, Gringo. Es gab schon Schlauere als dich.«
»Glaub ich nicht.«
»Doch.«
»Bei meine Onkel in Texas war auch so einer wie du. Ist an Kürbiskern zu Tode erstickt, hat vergessen, Kürbiskopf drumrum abzumachen.«
Berthold erwiderte darauf nichts mehr. Er spuckte noch einmal durch seine Zahnlücke und gab Gas. Dieser kleinen Laus kam man mit Reden nicht bei. Wenn Edek ihm das nächste Mal in der Dunkelheit begegnete, würde er ihm eine verpassen, dass er alle Zähne einsammeln konnte. Dann würde er endlich seine vorlaute Klappe halten.
Edek legte das nächste Rohr in die Fassung und schraubte es fest. Am liebsten hätte er Berthold eine mitten in die blöde Visage geknallt. Aber der Tag kam noch, ganz sicher. Berthold sollte bloß nicht meinen, dass er ungestraft davonkam. »In Nacht bei uns alle Leute in Heia«, hatte er vorhin gesagt. Als ob Edek nicht genau wüsste, was Berthold heute Nacht getrieben hatte ...
Und jetzt kam auch noch Wilfried um die Ecke. Er schleppte gleich zwei von den schweren Kisten, in denen sich die Teile von der »Affen-Frau« befanden. Ohne sie abzusetzen, blieb er stehen. »Aber der Affe«, sagte er, »kann nicht ohne die Frau weglaufen, weil er sich dann nicht mehr in die Frau verwandeln kann. Der Affe und die Frau müssen zusammenbleiben.«
Edek sagte nichts. Er war auf Wilfried sauer, nicht nur wegen der Schraubengeschichte heute früh. Er ging ihm auch so schon die ganze Zeit auf die Nerven. Ständig dachte er sich irgendwelche Verrücktheiten aus und belästigte Edek damit. Hier, bei der »Affen-Frau«, war er gestern zuerst darüber erstaunt gewesen, dass es zwei verschiedene Figuren waren, dann, als er endlich den Spiegeltrick begriffen hatte, konnte er nicht verstehen, warum beide Figuren nicht in eine Kiste verpackt würden. Er versuchte doch tatsächlich, Edek klarzumachen, dass es für sie traurig wäre, getrennt zu sein. Um endlich Ruhe zu haben, hatte Edek ihm gesagt, der Affe wäre froh, wenn er von der Frau loskäme, deshalb versuche er ja auch, auszubrechen.
Und genau darüber hatte
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