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Aufstand der Alten

Aufstand der Alten

Titel: Aufstand der Alten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian W. Aldiss
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mache ich euch mit einem von ihnen bekannt.«
    »Wir werden sehen. Dafür ist vielleicht morgen Zeit.«
    »Damit würde ich nicht zu lange warten. Es gibt eine lokale Legende, daß Oxford im Fluß versinkt, und wenn es untergegangen ist, kommt eine Menge kleiner nackter Leute, die jetzt unter dem Wasser leben, wie Aale heraufgeschwommen, um hier zu wohnen.«
    Graubart betrachtete die Ruine von einem Mann. »Ich sehe. Und du glaubst diese Geschichten?«
    Der alte Mann lachte und warf Martha einen kurzen unbehaglichen Seitenblick zu. »Ich sage nicht, daß ich es glaube, und ich sage nicht, daß ich es nicht glaube. Aber ich weiß, was ich gehört habe, und sie sagen, daß für jede Frau, die stirbt, eins von diesen kleinen nackten Wesen geboren wird. Und das weiß ich, weil am letzten Michaelistag eine alte Frau von neunundneunzig Jahren gestorben ist, und weil schon am nächsten Tag ein kleines zweiköpfiges Wesen bei der Grandpontbrücke aus der Tiefe hochkam, ganz nackt.«
    »Was hast du nun gesehen, Alter?« fragte Martha. »Die alte Frau, die gestorben ist, oder das zweiköpfige Ding?«
    »Nun, ich bin oft da unten«, sagte der Pförtner verwirrt. »Die Beerdigung habe ich gesehen, und die Brücke hauptsächlich, aber viele Leute haben mir den ganzen Rest erzählt, und ich habe keinen Grund, ihnen zu mißtrauen. Alle reden davon; es ist eine Geschichte, die jeder kennt.«
    Als er gegangen war, sagte Martha: »Komisch, wie jeder an etwas anderes glaubt.«
    »Sie sind alle ein bißchen übergeschnappt.«
    Sie ließ sich müde auf das Bett sinken. Langsam zog sie die schmutzigen Stiefel aus und massierte ihre Füße. Dann streckte sie sich aus und verschränkte die Hände unter dem Kopf. Sie betrachtete Graubart, der am Feuer hockte und dessen Glatze im Widerschein der Flammen glühte.
    »Woran denkst du, mein ehrwürdiger Geliebter?« fragte sie.
    »Ich überlegte gerade, ob die Welt nicht vielleicht in eine Art Wahnsinn abgleitet, nun, da die jüngsten Menschen über fünfzig sind. Ich frage mich, ob die Anwesenheit von Kindheit und Jugend nötig ist, um geistig gesund zu bleiben.«
    »Ich glaube nicht. Wir sind erstaunlich anpassungsfähig, mehr, als wir uns selbst zutrauen.«
    »Ja, aber angenommen, ein Mann verliert seine Erinnerung an alles, was er vor seinem fünfzigsten Lebensjahr erlebt hat, so daß er völlig von seinen Wurzeln abgeschnitten ist, von allen seinen früheren Leistungen und Fehlern – würdest du ihn nicht als verrückt einstufen?«
    »Der Vergleich hinkt.«
    Er wendete sich nach ihr um und grinste. »Du bist immer noch ein harter Brocken, wenn es ums Überzeugen geht, Martha Timberlane.«
    »Nach all diesen Jahren können wir immer noch die dickschädeligen Ansichten des anderen tolerieren. Es ist ein Wunder!«
    Er ging zu ihr und setzte sich auf die Bettkante. »Martha, hast du schon einmal daran gedacht, daß diese schreckliche Katastrophe vor fünfzig Jahren ein – nun, ein Glück für uns war? Ich weiß, es klingt wie eine Blasphemie; aber ist es nicht so, daß wir auf diese Weise ein viel interessanteres Leben geführt haben als die wahrscheinlich ziemlich eintönige und leere Existenz, die wir andernfalls hätten hinnehmen müssen? Wir können jetzt sehen, daß die Werte des zwanzigsten Jahrhunderts ungültig waren; wären sie es nicht, hätten sie die Welt nicht zerstört. Glaubst du nicht, daß die Katastrophe uns für die wirklich wichtigen Dinge empfänglicher gemacht hat – wie zum Beispiel für das Leben selbst und für unser Zusammensein?«
    »Nein«, sagte Martha. »Nein, das glaube ich nicht. Ohne die Katastrophe hätten wir jetzt Kinder und Enkelkinder, und nichts kann das jemals aufwiegen.«
    Graubart seufzte. »Da haben wir wieder den Mutterkomplex. Mit euch Frauen kann man eben nicht diskutieren ...«
     
    Tierlaute weckten sie am nächsten Morgen, das Krähen mehrerer Hähne, das Husten und die knackenden Gelenke gehender Rentiere, sogar das Geschrei eines Esels. Graubart ließ Martha im warmen Bett liegen und kleidete sich an. Es war kalt. Der Luftzug hatte im Lauf der Nacht die Asche aus den Feuerstellen weithin über den Boden verstreut.
    Draußen war der Tag kaum angebrochen, und die tristen Gebäude standen schwarz im Zwielicht. Aber auf dem Hof brannten Fackeln, und Leute waren auf den Beinen. Man hatte die Tore geöffnet, und viele rentierbespannte Karren rumpelten stadtwärts. Graubart sah nicht nur den Esel, sondern auch ein paar Pferde, junge, kräftige

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