Auge des Mondes
Senmut. »Vor ihr allein.«
»Aber ich habe läuten hören, dass er für das Große Fest einen besonderen Plan hat …«
»Gehört dazu auch, dass in der Stadt die Kunde von seltsamen bärtigen Katzenfängern die Runde macht?« Wieder hatte Senmut ihn mitten im Satz unterbrochen.
»Wer behauptet das?« Stirnrunzelnd starrte Menna zu Senmut hinunter.
»Was spielt das für eine Rolle? Du und ich wissen, dass es blanker Unsinn ist.« Ein zögerndes Nicken. »Aber solche Gerüchte machen die Menschen unsicher. Und unsichere Menschen sind gefährlich.« Jetzt kam das Nicken schneller.
»Ich werde mich darum kümmern«, sagte Menna. »Du kannst dich darauf verlassen.«
»Mach die Quelle ausfindig!«, befahl Senmut. »Und verlier keine Zeit dabei! Die ersten Fremden treffen in wenigen Tagen in Per-Bastet ein. Wenn die Herbergen erst einmal voll sind, kann es schnell zu Zwischenfällen kommen.«
»Weiber!« Chonsu grinste und rollte die Augen. »Massen von brünstigen, unbefriedigten Weibern - welch ein Alptraum!«
Eine Nebentür öffnete sich, und ein kleiner, schlanker Nubier kam hereingetrippelt.
»Aryandes erwartet euch«, sagte er. Seine Stimme war so hell wie die eines zehnjährigen Kindes, seine Gliedmaßen perfekt geformt, aber winzig. »Folgt mir!«
»Das ist es, wonach er sucht«, flüsterte Chonsu. »Es heißt, seine Leute durchkämmen ganz Kemet nach ähnlichen Geschöpfen. Dann schneiden sie ihnen die Eier ab - und sie bleiben für immer klein und vollkommen.«
»Alles nur, damit er sich größer fühlen kann«, zischte der Zweite Sehende zurück. »So groß, dass er die Krone der beiden Länder schon auf seinem Kopf zu tragen glaubt.«
Aryandes war untersetzt, glatt rasiert, und er schwitzte. Unglücklicherweise hatte er auf das bodenlange Gewand der Perser verzichtet und sich stattdessen nach Landessitte in einen hellen Schurz gezwängt, der seine Speckrollen betonte. Auf seiner Brust lag ein schweres Pektoral aus Gold, Lapislazuli und Karneol, an dem ein meisterhaft gearbeiteter Skarabäus hing.
»Wir hatten euch früher erwartet«, sagte er missmutig, »viel früher.«
»Es gibt eine Menge zu tun im Tempel«, entgegnete Senmut. »Besonders jetzt, wo die Ibisse nicht mehr lange ausbleiben werden.«
»Wir können diese Vögel nicht ausstehen«, sagte Aryandes. »Sie erinnern uns immer an Schreiber, die ihre hässlichen Schnäbel eifrig in Tinte tauchen. Ein widerliches Pack, hinterlistiger und durchtriebener noch als alle Höflinge zusammen.«
Die Priester tauschten rasche Blicke. Selbst das kleinste Kind in Kemet jubelte beim Anblick der göttlichen Vögel, verhieß er doch, dass der große Fluss binnen Kurzem steigen und neue Fruchtbarkeit für das Schwarze Land bringen würde, während ringsherum die Wüste und damit der Tod lauerte.
Der Satrap trug das Geheimnis des Lebens in einem Amulett um den Hals - und verstand nichts davon?
»Egal.« Ungeduldig begann Aryandes mit seinen plumpen Händen zu wedeln, an deren Fingern mindestens ein halbes Dutzend kostbarer Ringe steckte. »Jetzt seid ihr ja da. Endlich! Wir haben euch nämlich etwas mitzuteilen.«
Senmut, Menna und Chonsu blieben stumm, was dem Satrapen zusätzlich zu missfallen schien. Dennoch sprach er weiter von sich in der Mehrzahl, ein Privileg, das lediglich dem Pharao zustand.
»Wir werden persönlich anwesend sein. Am Tag des Großen Festes. Und das Ritual leiten.«
»Aber das gebührt dem Pharao allein …« Chonsu konnte nicht weitersprechen.
»Siehst du hier irgendwo den Pharao?« Dieses Mal schien Aryandes keine Antwort zu erwarten. Seine Stimme schraubte sich höher, als er weitersprach. »Darius hat uns die Leitung dieser Provinz anvertraut. Mit allem, was dazugehört. Mehr ist in dieser Angelegenheit nicht zu sagen.«
»Dann willst du sicherlich zuvor den Ablauf mit uns besprechen«, sagte Senmut, der keine Miene verzogen hatte. Die schlichte Anrede ging ihm scheinbar mühelos über die Lippen.
»Wozu? Ein Sohn des heiligen Feuers braucht keine besondere Unterweisung, um einer Katzengöttin zu huldigen.« Er leckte sich die fleischigen Lippen. »Außerdem seid ihr ja auch noch da. Wir werden also an Ort und Stelle entscheiden, was zu tun ist.«
Er winkte den kleinen Nubier heran.
»Bring Wein und Datteln!«, befahl er. »Schnell! Und dann führ die Ägypter hinaus! Diese Unterhaltung hat uns sehr müde gemacht.«
Die drei Priester waren schon fast an der Tür angelangt, als ein gebieterisches »Halt!« sie zum
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