Augenblicklich ewig
löste sich aus ihrer Frisur, die sie schüchtern wieder hinter ihr Ohr schob.
Sam ertappte sich bei dem Gedanken, wie gerne er es gewesen wäre, der ihr das Haar aus dem Gesicht strich. Er holte sich an der Theke eine Kuchengabel und machte sich über den Kuchen her. Noch bevor der Kellner den Wein an ihren Tisch brachte, hatte er das ganze Stück verputzt. Polly beobachtete ihn dabei sichtlich amüsiert.
»Was ist?«, fragte er deshalb.
Sie sah ihn unschuldig aus großen Augen an, als habe sie sich nicht auf seine Kosten amüsiert. »Nichts, ich frage mich nur, ob du heute überhaupt schon gegessen hast.«
»Nicht seit dem Frühstück.« Er grinste und deutete auf die Zeitung. »Recherche?«
»Nein, eigentlich nicht. Eher Interesse. Ich wollte sehen, ob sie meinen Artikel gebracht haben, und habe mich dann sozusagen festgelesen.«
»Worüber schreibst du?«
»Meist über das Theater oder die Oper.«
»Du gehst gerne in die Oper?« Früher war sein Onkel seiner Tante zuliebe häufig in die Oper gegangen. Er selbst hatte die beiden nie begleitet. Die hochtragende Musik lag ihm ebenso wenig wie seinem Onkel.
»Früher sehr oft. Heute gehe ich lieber ins Theater. Ich mochte Mendelssohn Bartholdy. Ein Sommernachtstraum, die Walpurgisnacht.«
»Die kenne ich nicht.«
»Du würdest sie mögen.«
»Ich weiß nicht so recht. Tanzmusik ist eher mein Fall.«
»Du wärst sicher überrascht. Wir sollten einmal hingehen, wenn sie wieder aufgeführt wird.«
Schon wieder das Wir. Sam fühlte sich nicht so recht wohl dabei, dass sie ständig ein Paar aus ihnen beiden machte. Er hatte nicht vor, sich zu binden. Andererseits gefiel es ihm, wie natürlich sie sich ihm gegenüber verhielt. Sie kokettierte nicht, spielte offenbar keine Spielchen und zierte sich nicht künstlich in seiner Gegenwart. Er musste zugeben, er mochte Polly. Vielleicht sollte er ihr eine Chance geben. Sie schien nicht viel auf Konventionen zu geben, hatte sich am ersten Abend von ihm nach Hause begleiten lassen und saß nun bereits wieder mit ihm zusammen, ohne dass er ernsthafte Absichten kundgetan hatte. Sie stand auf eigenen Beinen. Eigentlich sollte er auf der sicheren Seite sein, sie brauchte keinen Mann, um sich zu versorgen.
»So nachdenklich?« Polly riss ihn aus seinen Gedanken. Ihre Stimme klang besorgt und sie beäugte ihn forschend.
»Nein, entschuldige. Sollen wir tanzen gehen?«
»Ich würde nur zu gerne«, sie strich sich die störrische Strähne erneut hinters Ohr, »aber, wie gesagt, mein Tag fängt früh an und die Arbeit ist ohnehin nicht sehr interessant. Ohne ein paar Stunden Schlaf würden mir beim Tippen die Augen zufallen. Ich muss nach Hause.« Sie sah ein wenig zerknirscht aus und auch Sam musste zugeben, er war enttäuscht.
»Na schön, soll ich dich zu deiner Wohnung begleiten?«
Ihre Augen strahlten. »Ja, gerne«, nickte sie.
Als sie das Café verließen, regnete es in Strömen. Polly hatte weder Jacke noch Regenschirm bei sich und auch Sam trug nur sein Sakko. Die Temperaturen waren jedoch nach wie vor angenehm. Sie blieben unter dem kleinen Vordach stehen und Polly blickte gequält zum Himmel.
»Angst vor ein bisschen Wasser?«, neckte er sie deshalb.
»Angst?«, fragte sie betont. »Nein, ich habe keine Angst.« In ihren Augen funkelte es. »Allerdings wird meine Frisur mir den Weg durch den Regen nicht danken.«
»Ach komm schon, wenn ich dich begleite, obwohl es wie aus Eimern gießt, wirst du wohl mit nassen Haaren fertig werden.«
Sie grinste verschwörerisch und rannte los. »Du wirst schon sehen.«
Sam folgte ihr auf der Stelle und hatte sie mit wenigen großen Schritten eingeholt. Er wollte nach ihrer Hand greifen, um sie mitzuziehen. Einmal mehr vergrößerte sie scheinbar zufällig im gleichen Moment den Abstand zwischen ihnen. Während sie liefen, ließ der Regen allmählich nach und verwandelte sich in ein leichtes Tröpfeln. Typisch für einen kurzen Sommerschauer würde er in ein paar Minuten zu Ende sein. Polly drosselte ihr Tempo und auch Sam verlangsamte seine Schritte, bis er an ihrer Seite ging. Als er sie ansah, blieb ihm der Mund vor Staunen offen stehen. Er hatte etwas sagen wollen, was ihm nun aber komplett entfallen war.
Ihre gekonnt gelegten Wellen hatten sich aufgelöst und ihre Haare hatten sich in wilde Locken verwandelt. Noch nie zuvor hatte er eine so zerzauste und gleichzeitig derart anziehende Frisur gesehen. Er hatte das dringende Bedürfnis, seine Hände in ihren Haaren
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