Augenblicklich ewig
getragen hast. Ich war vollkommen gefesselt von dir. Der Gedanke, dich von diesem Augenblick an immer in meiner Nähe zu haben, ließ mich die Angst vor der Ehe verlieren. Ich heiratete nicht nur aus Liebe, sondern getrieben von einer beinahe unwirklichen Anziehungskraft. Es war dumm zu glauben, ich würde mich selbst nach einer Heirat verlieren, mein Leben aufgeben. Stattdessen bekam ich so viel mehr, als ich aufgab. Ein Leben an der Seite meiner großen Liebe.«
Polly seufzte leise. Auch wenn sie sich an nichts davon erinnerte, war es wundervoll, in Sams Geschichte einzutauchen und seiner samtweichen, liebevollen Stimme zu lauschen. Ein leichtes Lächeln glitt über seine Züge, sein Blick war jedoch längst wieder nach innen gerichtet, folgte seinen Erinnerungen.
»Wir entschlossen uns, bei meinem Onkel zu wohnen. Das Haus war riesig und hätte leicht noch zwei weitere Familien beherbergen können. Außerdem war der alte Mann das Einzige, was wir an Familie hatten, und das gibt man nicht leichtfertig auf. Du wolltest deine Arbeit im Büro behalten und ich war einverstanden. So sahen wir uns nur an den Abenden, verbrachten jedoch jede freie Minute miteinander. Paul und Johanna heirateten kurz nach uns und wir vier bildeten ein tolles Gespann. Wir gingen aus, tanzten, tranken und genossen unser Leben in vollen Zügen. Johanna wurde schwanger. Verhütung war in den Zwanziger Jahre kein Thema. Gelegentlich sah ich deine sehnsüchtigen Blicke, wenn du ihren runden Bauch betrachtetest. Wir taten weiß Gott genug dafür«, Sam lachte kurz auf, »aber du wurdest nicht schwanger. Trotzdem waren wir glücklich. Wir liebten uns, das war die Hauptsache. Ich konnte mir nichts vorstellen, das unser Glück hätte trüben können.«
Sam strich sich die Haare zurück. »Was soll ich sagen? Es kam anders. 1929 verloren viele ihre Arbeit oder sogar ihr gesamtes Hab und Gut. Viele Menschen standen vor dem Nichts. Dein Büro entließ viele der Angestellten, auch dich. Paul kämpfte um seine Kunden und seine Existenz. Wer wollte sich schon eine Versicherungsprämie leisten, wenn er kaum das Essen bezahlen konnte? In dieser Zeit hast du viel geschrieben, auch wenn kaum etwas davon je gedruckt oder auch nur von jemand anderem als mir gelesen wurde. Eines Abends, ohne ersichtlichen Grund, hast du dich entschlossen, es sei an der Zeit für uns, nach Amerika auszuwandern. Ich war vollkommen vor den Kopf gestoßen. Ich wollte Berlin nicht verlassen. Aber du hast keine Ruhe gegeben. Gebeten, gebettelt, ja manchmal sogar geschimpft und geflucht. Ich weiß bis heute nicht, was dich getrieben hat. Sicher ist nur, du hattest recht. Anders als viele andere nach uns sind wir nicht geflüchtet, sondern ausgereist. Natürlich hast du versucht, Paul und Johanna und auch meinen Onkel zu überreden, mit uns zu kommen. Sie weigerten sich und hielten uns wahrscheinlich für verrückt oder sogar lebensmüde. Also reisten wir allein. Erst nach Southampton in England und dann nach New York. Wir nahmen all unser Geld mit und auch noch eine kleine Summe von meinem Onkel. Aquitania hieß unser Schiff. Es war unglaublich groß und schnell. Die erste Klasse war zu teuer für uns, aber mit der zweiten waren wir zufrieden. Sie war deutlich besser ausgestattet als die zweite Klasse anderer Schiffe – zumindest hat man uns das erzählt. Es war unglaublich aufregend und sicher die wichtigste Reise unseres Lebens. In New York angekommen, ließt du mir jedoch weiterhin keine Ruhe. Du wolltest auf keinen Fall bleiben. Wir hatten schon einmal dort gelebt und eine Zeitung geführt, aber du wolltest weiter. Du warst unglaublich stur, musst du wissen, und ich konnte dir kaum einen Wunsch abschlagen. Warum auch, ich wollte dich glücklich sehen.« Sam grinste und Polly lächelte zurück. Inzwischen war der Tag längst angebrochen und die Stadt zum Leben erwacht. Ihr Magen knurrte. Entschuldigend zuckte sie mit den Schultern.
Sam lachte. »Wollen wir irgendwo frühstücken?«
Sie schüttelte den Kopf. »Nein, alles okay, ich möchte hören, wie es weiter ging.«
»Und ich möchte nicht, dass du verhungerst.« Sanft strich er mit den Fingerspitzen über ihre Wange. »Wir holen uns etwas zu essen und kommen wieder her.« Er stand auf und streckte ihr seine Hand entgegen. Als Polly sie ergriff, zog er sie in seine Arme und küsste sie sanft. »Es tut mir leid«, flüsterte er und noch leiser: »Ich hatte solche Angst.«
Polly drückte sich noch fester an ihn. Für einen
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