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Augenblicklich ewig

Augenblicklich ewig

Titel: Augenblicklich ewig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole Neuberger
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Moment standen sie eng umschlungen da und die Welt um sie herum verschwamm.
    Mit Croissants, Donuts und Kaffee aus dem anliegenden Café kehrten sie zurück. Dieses Mal setzten sie sich nicht auf die Bank, sondern auf die Wiese und benutzten ihre Jacken als Unterlage.
    »Wie ging es weiter?« Polly wollte die ganze Geschichte kennen, alles wissen, woran er sich erinnerte.
    Sam schluckte einen Bissen seines Croissants hinunter und nahm einen großen Schluck Kaffee, bevor er fortfuhr. »Wir zogen nach Santa Monica. Du hattest dich entschlossen, dort würde unsere neue Heimat sein, und ich war einverstanden. Die Stadt ist unglaublich schön, direkt am Pazifik gelegen und immer sonnig. Damals war Santa Monica im Grunde noch eine Kleinstadt. Obwohl noch etwas von unserem Geld übrig war – wir konnten uns sogar ein kleines Haus leisten – mussten wir natürlich arbeiten, um unseren Lebensunterhalt zu bestreiten. Ich wollte mein Glück weiterhin als Fotograf versuchen und du hast eine Anstellung in einem Büro gefunden. Mein Englisch war schlecht, du erinnertest dich schnell an deines. Glücklicherweise brauchte ich zum Fotografieren nicht allzu viele Worte. Schon zu der Zeit zog es einige Schauspieler aus Hollywood ans Meer, und ich hatte eigentlich immer zu tun. Es war unglaublich, wie schnell wir uns einlebten. Wir vermissten Paul, Johanna und meinen Onkel schrecklich, aber wir waren glücklich. Das änderte sich, als der Krieg ausbrach.«
    Sam legte sich auf den Rücken, seine Jacke benutzte er als Kissen. Polly legte sich neben ihn. Noch einmal atmete er tief durch und erzählte dann, die Augen in den Himmel gerichtet, weiter.
    »Wir machten uns große Sorgen um unsere Freunde und Bekannten. Viele von ihnen waren Künstler und, wie du dir sicher denken kannst, besonders gefährdet. Einige haben den Krieg überlebt, viele jedoch nicht. Wiedergesehen haben wir nur die wenigsten.«
    Polly zuckte zusammen. »Was wurde aus Paul, Johanna und deinem Onkel?«
    »Wir taten, was wir konnten, um allen, die wir kannten, zu helfen. Schrieben unzählige Briefe, die nicht alle rechtzeitig ankamen. Paul und Johanna konnten mit einem befreundeten Schriftsteller erst in die Schweiz und dann über etliche Umwege in die USA gelangen. Sie hatten versucht, meinen Onkel zum Mitkommen zu überreden, aber er wollte nicht. Er harrte in Berlin aus und überlebte. Wiedergesehen habe ich ihn dennoch nie mehr. Natürlich hast du darauf bestanden, dass Paul und Johanna mit ihrem Sohn in der ersten Zeit bei uns wohnten. Es war schön, sie um sich zu haben. Viel zu lange waren wir getrennt gewesen. Die drei hatten sich bald eingelebt und später ein Haus ganz in unserer Nähe gefunden. Nicht alle Emigranten konnten sich so gut mit der Situation arrangieren wie wir und Paul und Johanna. Viele Flüchtlinge vermissten Deutschland und ihre Sprache. Nächtelang haben wir überlegt, was wir tun können, um ihnen zu helfen. Dabei war die Lösung so naheliegend. Wir gründeten eine deutsche Zeitung. Ein Jahrhundert zuvor in New York hatten wir ebenfalls für eine deutsche Zeitung gearbeitet. Du hast deine Arbeit im Büro gekündigt und alles Nötige in die Wege geleitet. Johanna hat dir im Büro geholfen. Paul, der dringend Arbeit brauchte, und ich waren unterwegs, haben mit den Exilanten gesprochen und Neuigkeiten zusammengetragen. Ich fotografierte. Später haben wir gemeinsam daraus die Zeitung gemacht. Was klein anfing, wurde größer. Wir schufen einige Arbeitsplätze und wuchsen zu einer richtigen Redaktion mit Fotografen und Journalisten. Auch als der Krieg endlich vorbei war und viele unserer Freunde zurückkehrten nach Deutschland, blieben wir und führten die Zeitung weiter.«
    Pollys Magen begann aufgeregt zu flattern. »Was wurde aus der Zeitung? Gibt es sie noch?«
    Sam zuckte mit den Schultern. »Solange ich lebte, gab es sie. Heute gibt es sie nicht mehr. Ein größeres Blatt hat sie übernommen, soweit ich weiß. Allerdings vermeide ich es, genau nachzuforschen, was aus den Menschen und Dingen nach meinem Tod geworden ist.«
    Polly richtete sich auf. »Warum?«
    Sam schaute weiterhin in den wolkenlosen Himmel. »Was würde das ändern? Es würde mich nur traurig machen, zu erfahren, dass du die Zeitung nach meinem Tod vielleicht verloren hast. Oder wann Paul und Johanna gestorben sind. Stell dir vor, ihr Sohn könnte sogar noch leben. Wie wäre es wohl für ihn, mir zu begegnen? Nein, das alles ist Vergangenheit und muss es auch

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