Aus der Hölle zurück
niemand helfen würde, falls ich auffallen sollte. Ich war auf mich selbst angewiesen. Niemand würde mir helfen, wenn ich mir nicht selbst zu helfen wußte. Wer weniger auffiel, wurde weniger geschlagen und hatte größere Aussicht, den nächsten Tag zu überleben. Der Anblick der Verprügelten und Erschlagenen – vom Morgen bis zum Abend – erstickte Verzweiflung und Tränen in mir. Ich dachte daran, daß ich viel Kraft brauchen würde, um all das zu ertragen. Den Gedanken, daß ich es nicht aushalten könnte, ließ ich gar nicht in mir aufkommen.
Die nächsten Tage waren von der mörderischen Arbeit auf dem Bauhof ausgefüllt. Wir wurden um fünf Uhr morgens geweckt. Gegen sieben oder halb acht rückten wir zur Arbeit aus. Das größte Bauhof-Kommando wurde von dem deutschen Kriminellen August (Nr. 22 ), der einen Winkel auf der Jacke trug, angeführt. Sogleich nach dem Eintreffen auf der Arbeitsstelle wurde das Kommando unter der Aufsicht von Vorarbeitern in kleinere Gruppen aufgeteilt. Ich wurde mit meinen Transportgefährten einer Gruppe von Häftlingen zugeteilt, die Zementsäcke zu verladen hatte. Einige Häftlinge mußten die im Waggon gestapelten Säcke an die Tür schleifen, an die die anderen der Reihe nach herantraten. Ihnen wurden die Säcke auf die Schultern gewuchtet. Die Häftlinge schleppten sie zu einer hölzernen Bude, die als Lager diente. Dort nahmen andere Häftlinge die Zementsäcke in Empfang und stapelten sie auf.
Ich war zum Säcketragen eingeteilt. Für einen jungen Burschen wie mich wäre die damit verbundene Anstrengung nichts Außergewöhnliches gewesen, wenn ich satt gewesen wäre. Die ersten Säcke schleppte ich irgendwie ans Ziel und setzte sie im Lager ab. Jedoch plötzlich begann der Aufsicht führende Vorarbeiter laut zu brüllen: »Schneller, ihr verfluchten Hunde! Schneller!« Und ehe ich mich versah, bekam ich zwei Hiebe mit dem Knüppel über den Kopf. Ich lief zum Waggon, um den nächsten Sack zu holen. Dort standen zwei SS -Leute und der Kapo August. Er hatte sich über einen Häftling gebeugt, dem der Sack beim Aufladen am Waggon von der Schulter gerutscht war. August trug Lederhandschuhe. In einer Hand hielt er einen abgebrochenen Schaufelstiel, den er auf dem Hals des Unglücklichen langsam niederdrückte. Immer stärker zudrückend, zischte er: »Ich werde dich lehren, die Arbeit im Lager zu sabotieren, du Scheißsack!« Wie erstarrt, blieb ich einen Augenblick stehen, sofort kam jedoch von hinten der Vorarbeiter herbeigelaufen. Er schlug mir mit dem Knüppel den Rücken. Ich schrie vor Schmerz auf. »Im Laufschritt, du Scheißkerl! Aber dalli! Na los! Sonst verreckst du in Kürze genauso wie der da!« Dabei wies er auf den unter dem Stiel erstickenden Häftling.
Ich lud mir einen Zementsack auf die Schultern und lief damit so schnell ich konnte zum Magazin. Angst und Entsetzen erfüllten mich. Aus dem nichtigsten Anlaß töteten sie einen Menschen. Wegen des kleinsten Vergehens konnte man ermordet werden. Wie sollte man das aushalten? Ich lief zurück, um den nächsten Sack zu holen. Die anderen liefen ebenso wie ich, oft einer den andern anrempelnd. Der Kapo und der Vorarbeiter begannen, grundlos draufloszuschlagen, gleichgültig, wen es erwischte. Sie brüllten: »Im Laufschritt! Schneller! Los, dalli, dalli!« Unter der Last des nächsten Sacks knickten mir die Knie ein, wahrscheinlich vor Angst und Aufregung. Der Vorarbeiter bemerkte das. Er sprang auf mich zu und brüllte: »Was bewegst du dich so langsam, du Lahmarsch?! Hau bloß ab von hier, aber schnell!« Er versetzte mir zwei, drei Hiebe aufs Gesäß, so daß ich einen unglaublichen, brennenden Schmerz verspürte.
Die ganze Zeit liefen wir. Im Dauerlauf, ständig in Bewegung. Im Eiltempo, als müßten wir dauernd etwas beweisen. Als ich zum Waggon zurückkehrte, um einen neuen Sack in Empfang zu nehmen, donnerte Kapo August einen Häftling mit dem Kopf gegen die eiserne Kante des Wagens. Das Blut spritzte nur so. Als der Häftling reglos in seinen Händen hing, warf er ihn wie einen überflüssigen Gegenstand unter den Waggon. Mit dem Sack auf den Schultern lief ich zum Lager. In der Tür stieß ich mit einem anderen Häftling zusammen. Der hochgehaltene Sack glitt mir beinahe aus den Händen. Das Gleichgewicht verlor ich aber nicht, ich fluchte nur. Der andere sprang beiseite. Er war älter als ich und konnte sich kaum noch auf den Beinen halten. Der Vorarbeiter und ein Kapo betraten gerade das
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