Aus der Hölle zurück
durch »Arbeitsunfälle« in den Kommandos, durch Todesfälle im Krankenbau, durch Erschießungen, Selektionen usw. vielleicht »nur noch« 24 000 waren. Die Rationen waren für 25 000 vorgesehen; die Differenz übernahmen die anderen Häftlinge. Einen Teil rissen die Funktionärshäftlinge in den Blocks (Blockälteste, Kapos, Stubenälteste) an sich, während ein erheblicher Teil von den Köchen und den in den Lebensmittellagern beschäftigten Häftlingen übernommen werden konnte. Als gewöhnlicher Lagerhäftling hatte ich davon keine Ahnung gehabt. Als Koch – genauer gesagt, als Küchengehilfe – war ich nur Zeuge dieser Vorgänge. Denn die meisten Lebensmittel für die Häftlinge im Krankenbau bzw. in den verschiedenen Kommandos »besorgten« oder »organisierten« die beiden Vorarbeiter (Chmura und Szymanek), die ganz genau wußten, daß ihnen beim Verteilen der Suppe die Möglichkeit gegeben war, ihren ausgehungerten Leidensgefährten zu helfen.
Ein Zufall fügt es, daß ich zum Abfüllen der Suppe noch zwei eiserne 50 -l-Behälter brauchte. Es mangelte oft an Gefäßen für die Suppe. Daher war es ganz normal, wenn man sich Fässer in der Küche besorgte. Die Köche stahlen sich gegenseitig die Gefäße. Sie wollten die Kessel so schnell wie möglich ausscheuern, damit sie für die nächste Suppe oder den »Tee« vorbereitet waren. Diese Arbeit wurde in einem unablässigen Tempo ausgeführt. Auf der Suche nach leeren Gefäßen entdeckte ich in der Nähe des Eingangs zur Küche zwei eiserne Kessel. Da ich niemanden in der Nähe erblickte, ging ich unwillkürlich darauf zu und öffnete den Deckel des einen Behälters.
Wie groß aber war mein Erstaunen, als ich sah, daß in dem zur Hälfte mit Zucker gefüllten Kessel mehrere Würfel Margarine lagen. Rasch machte ich den Deckel wieder zu. Dennoch überraschte mich der aufmerksam die Situation in der Küche überwachende Chmura, der ausgerechnet in diesem Augenblick zusammen mit drei Häftlingspflegern aus dem Krankenbau die Küche betrat. »Was machst du denn hier, mein Sohn? Verschwinde, aber dalli!«
Als ich mich abwandte, hörte ich die Stimme Chmuras: »Das sind die beiden Kessel für die Schonung. Also weg damit. Los!«
Die Pfleger packten die Griffe der Kessel und verließen eilig die Küche. Dies geschah gerade noch zur rechten Zeit, denn plötzlich tauchten SS -Mann »Bubi« und Kapo Franz auf. Vor allem der zweite konnte gefährlich werden. Franz war Küchen-Kapo und gleichzeitig als Kapellmeister für das Lagerorchester verantwortlich. Wenn er auch nur den geringsten Verstoß gegen die Lagerordnung oder das Organisieren von Lebensmitteln bemerkte, schlug und mißhandelte er häufig seine Mitgefangenen. Er war den SS -Leuten zu Diensten, weil er vorzeitig entlassen werden wollte.
Ich machte mich gerade an das Scheuern des Kesselrandes, als Kapo Franz unerwartet zu mir trat. Ich unterbrach meine Tätigkeit und nahm Haltung an. »Ach, du bist also der Neue«, wandte er sich auf Deutsch an mich, obwohl er Pole war. Ich antwortete, daß es so sei. »Und woher kommst du?« lautete die nächste Frage. »Aus Poznań«, gab ich zurück. »Aus Posen bist du, nicht aus Poznań!« brüllte er wütend und schlug mir ins Gesicht. »Das nächste Mal, wenn dich ein Vorgesetzter auf Deutsch anspricht, dann hast du auf Deutsch zu antworten! Verstanden?« »Jawohl!« gab ich erschrocken zurück. Er verschwand, aber insgeheim wünschte ich, daß ihn der Schlag treffen möge, diesen Verräter und Renegaten. Seit dieser Begegnung mied ich Franz wie ein gebranntes Kind das Feuer und hielt mich so fern von ihm wie möglich. Von ihm hing es ab, ob ich weiterhin in der Küche bleiben konnte. Leo, der als Kapo des Lebensmittellagers manchmal Franz vertrat, hatte ihm bestimmt gesagt, daß ich aus Poznań kam, denn er stammte selbst aus dieser Stadt. Andererseits weiß ich selber nicht, warum ich Franz auf seine Frage in Deutsch auf Polnisch geantwortet habe.
Nach der ersten Arbeitswoche in der Lagerküche kam ich langsam zu mir. Durch die bessere Verpflegung wurde ich wieder kräftiger. Ziemlich schnell bekam ich Muskeln beim ständigen täglichen Schleppen der Lasten, beim Anheben und Verladen der Fässer und Kessel. Ich wunderte mich selbst, daß ich dieser Arbeit, die nicht gerade zu den leichtesten gehörte, gewachsen war. Sie bot jedoch die Möglichkeit und die Aussicht zu überleben. Und das war das Wichtigste, es war die Triebkraft zum Durchhalten.
Die Arbeit
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