Aus der Welt
das große Spiel nahm einen anderen Ausgang, als alle erwarteten. Am Samstagabend um dreiundzwanzig Uhr fand ich im Internet einen kurzen Beitrag, in dem das Sieben-Meter-Tor verkündet wurde, das der New England State ihren ersten ECAC -Championship-Titel eingebracht hatte: Ein Tor, das von einem gewissen Pete O’Mara (einer von Michaels’ Kumpeln aus meinem Seminar) in der dritten Minute der zweiten Nachspielzeit erzielt wurde.
Die Mannschaft der New England State University, die ohne ihren berühmten Stürmer Joseph Michaels antrat, der in einer umstrittenen Entscheidung gerade mal achtundvierzig Stunden vor dem Spiel suspendiert worden war, lag 0 : 1 zurück, bevor sie in den letzten anderthalb Minuten der regulären Spielzeit den Ausgleich schaffte. Und dann, in der zweiten Nachspielzeit, fiel plötzlich …
Es gibt also doch manchmal ein Happy End. Aber als ich Ted Stevens am Montag auf dem Campus einen guten Morgen wünschte, lächelte er mich nur schmallippig an. Ein Lächeln, das besagte: Sie sind hier erledigt.
Am Montagnachmittag nach dem großen Spiel bekam ich einen Anruf von Professor Sanders, der mich zu sich in sein Büro bat.
Als ich hereinkam, fragte er: »Ein Scotch gefällig?«, und goss ihn mir ein, bevor er in dem Stuhl hinter seinem Schreibtisch Platz nahm.
»Haben Sie schlechte Neuigkeiten?«, fragte ich.
»Nichts, was Sie nicht bereits wüssten. Ich rate Ihnen Folgendes: Sehen Sie zu, dass Ihr Buch veröffentlicht wird, schreiben Sie so viele Artikel für so viele Zeitschriften wie möglich, damit Sie hoffentlich mithilfe von Fleiß und Ehrgeiz eine neue Dozentenstelle finden. Denn wenn Ihr Vertrag hier ausläuft, werden Sie Ihre Sachen packen müssen.«
Nach diesem Drink begann sich Professor Sanders von mir zu distanzieren. Er begegnete mir in der Öffentlichkeit zwar nie mit Eiseskälte – für solche Spielchen war er viel zu intelligent – und fragte auf Fakultätssitzungen auch durchaus nach meiner Meinung, aber er sprach mich stets ganz formell mit Miss Howard an, während er meine Kollegen beim Vornamen nannte. Das blieb natürlich auch den anderen Fakultätsmitgliedern nicht verborgen, genauso wenig, dass er mich vornehm links liegen ließ. Marty Melcher formulierte es so: »Sanders teilt uns unterschwellig mit, dass Sie gefährlich sind, Babe … Sie können mich jetzt gern wegen der Verwendung des Wortes ›Babe‹ anzeigen, wenn Sie wollen …«
»Warum sollte ich, Professor?«, fragte ich.
»Sie sind also weder politisch korrekt noch eine verkappte Feministin oder sogar eine Über-Feministin? Sanders sagte, Sie sind fit. So fit, dass Sie sich nicht mal von unserem heiß geliebten Anführer, Präsident Stevens, haben einschüchtern lassen.«
»Könnte ich bitte einen Wodka haben?«, fragte ich. Wir saßen in einer Bar, und Melchers schleimige Komplimente ließen mich bereits bereuen, dass ich seine Einladung zu einem Cocktail nach der Arbeit angenommen hatte. Zumal mich eine weitere Fakultätskollegin, Stephanie Peltz, gewarnt hatte, dass er ein Lüstling sei (so wie Marty mich gewarnt hatte, dass Stephanie die Klatschtante der Fakultät sei: »Und glauben Sie mir, um diesen Titel streiten sich viele.«).
Marty Melcher. Über fünfzig, dicklich, chaotisch, aber mit vollem, grauschwarz gelockten Haar und einem Walross-Schnurrbart, der ihn aussehen ließ wie einen amerikanischen Günter Grass. Ein Spezialist für amerikanische Prosa des 20. Jahrhunderts (»aber nicht für diese zweitklassigen Möchtegern-Zolas, die Ihnen gefallen, sondern für echte Größen wie Hemingway, Fitzgerald, Faulkner«). Ein Mann mit einem Gesicht, in dem das Leben seine sprichwörtlichen Spuren hinterlassen hatte, man konnte es auch als »verlebt« bezeichnen. Laut Stephanie Peltz hatte Melcher tatsächlich so einiges mitgemacht: drei Scheidungen, einen lang anhaltenden Kampf gegen seine Schmerztablettensucht und eine geheime Liaison mit einer Studentin im Hauptstudium namens Victoria Mattingly. Die Affäre hätte ihn beinahe den Kopf gekostet und endete damit, dass sie einen Nervenzusammenbruch erlitt und alles ihrem Mann gestand, der wiederum zwei Schläger aus dem nicht sehr gut beleumundeten Süden Bostons beauftragte, Melcher in der Auffahrt seines Hauses in Brookline gründlich zusammenzuschlagen.
»Könnte ich bitte einen Wodka haben?«
»Einen Grey Goose on the Rocks ?«, fragte er.
Ich nickte, und er gab die Bestellung an einen vorübereilenden Kellner weiter.
»Ich habe
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