Aus Licht gewoben
ich.«
»Warum?«, fragte ich und verlagerte den schweren Sack auf die andere Schulter. »Ist etwas passiert?«
»Die Männer brechen zur Hauptstadt auf«, antwortete die Frau.
»Sie sind gestern Abend aufgerufen worden, sich zur Verteidigung einzufinden. Natürlich nur für körperliche Arbeit, aber dafür braucht die Zauberergarde kräftige Männer.«
»Und wer verteidigt dann Fairwell?«, fragte ich.
»Ganz genau, Mädchen, ganz genau. Warum sollten sie sich darum Gedanken machen, solange sie sicher in ihrem Schloss sitzen? Wir haben früher oft jahrelang unter Kämpfen und Zerstörung leiden müssen, und nie wurden unsere Hilferufe beantwortet. Das ist ein großes Unrecht, fast schon eine Tragödie. Ich finde, keiner unserer Männer sollte gehen.«
Aber das taten sie, und zwar in Scharen. Ich fand die Straße schließlich, allerdings folgte ich weniger der Wegbeschreibung als den Geräuschen von splitterndem Glas und dem Stimmengewirr. Den Sack, den ich gerade trug, legte ich vor dem nächsten Geschäft ab und drängte mich durch die Menge bis nach ganz vorne.
Vor mir warfen Kinder Blumen, und von oben regnete es Blütenblätter, aber ich konnte die Augen nicht von all dem zerbrochenen Glas auf der Straße abwenden. Immer wieder beugten sich Glasbläser hinunter und legten eine ihrer Kreationen
auf den Weg. Die Männer, von denen einige edle Mäntel, andere grobe abgewetzte Hosen trugen, zertraten die kleinen Figuren unter ihren schweren Stiefeln.
So wurde nach und nach das gesamte Glas zu feinem Staub und vermischte sich mit den Blütenblättern. Als der letzte Mann vorübergegangen war, kam eine Gruppe von Frauen und begann, den Staub aufzufegen und in Eimer zu füllen.
»Warum tun sie das?«, fragte ich die Frau, die neben mir stand. Ihre kleine Tochter kaute am Ende ihres Zopfes und versteckte das Gesicht im Rock der Mutter.
»So ist es Tradition«, antwortete die Frau und strich ihrer Tochter über den Kopf. »Entschuldigen Sie, aber ihr Papa war noch nie länger fort.«
»Das tut mir sehr leid«, sagte ich mit einem Blick auf das Mädchen.
»Das Glas und die Blütenblätter«, fuhr die Frau fort, »werden eingeschmolzen und in neue Formen gegossen. Das soll symbolisieren, dass die Stadt wieder aufgebaut werden kann, selbst wenn sie zerstört war. Unsere Stadt ist eine Stadt der Schöpfer. Es liegt uns im Blut, immer wieder von neuem zu beginnen.«
Ich wusste nicht, was ich darauf erwidern sollte, doch es erschien mir passend, dass wir auf der Restoration Road, der Straße der Erneuerung, standen.
Nachdem ich alle Lieferungen erledigt und meinen Lohn erhalten hatte, lief ich zurück zu Mrs. Pemberlys Pension. Als ich eintrat, sah sie zu mir herüber, schüttelte den Kopf und runzelte die Stirn.
»Sind sie immer noch nicht wieder da?«, fragte ich und spielte nervös an meiner Kette herum.
Sie verneinte. »Sobald sie kommen, schicke ich sie nach oben.«
Die Stunden verstrichen, und noch immer kein Zeichen von North und Owain. Ich wusste, dass ein Drache kein leichter Gegner war, aber jetzt war es schon halb sieben, und ich wollte mich so bald wie möglich wieder auf den Weg machen. Wir hatten schon viel zu viel Zeit verschwendet.
Nachdem ich es mir auf Owains quietschendem Bett gemütlich gemacht hatte, schrieb ich einen Brief an Henry. Ich berichtete von den Zauberern, dem Streit und dem Erdbeben in Dellark, dem Wanderkäfer und Fairwells zerstörter Brücke, aber ich fand keine Worte, um die seltsamen Kopfschmerzen oder das Gefühl in meinem Bauch zu beschreiben. Als ich mir den Brief noch einmal durchlas, fiel mir auf, wie unzusammenhängend und schief die Worte aussahen. Meine Os waren nicht rund, und ich hatte alle i-Punkte vergessen.
Ich weiß nicht, was ich tun soll, schrieb ich. Ich würde sie gerne suchen, aber ich traue mich nicht, alleine nach draußen zu gehen. Bin ich deshalb ein Feigling? Einer von ihnen oder sogar beide könnten schwer verletzt sein, und niemand würde davon erfahren. Ich weiß noch nicht, wann ich wieder die Zeit finden werde, dir zu schreiben, oder ob dich dieser Brief überhaupt erreichen wird. Wenn du kannst, bitte schreib mir an diese Adresse! Du fehlst mir so sehr.
Dann strich ich den letzten Satz hastig wieder durch und fühlte mich schuldig. Ich wollte nicht, dass Henry davon erfuhr, obwohl es die Wahrheit gewesen war. Aber meine Gefühle so offen vor mir zu sehen machte die Sache nur noch schlimmer.
Mehrere Stunden später saß ich mit
Weitere Kostenlose Bücher