Aus reiner Notwehr
Maßen überraschte, als die versammelte Gästeschar “Willkommen daheim!” rief, so war sie doch zutiefst gerührt. Dass so viele Freunde in Bayou Blanc sich über das Wiedersehen freuten, hatte sie nicht erwartet.
“Nun mal ehrlich, mir kannst du’s ja sagen – so richtig überrascht warst du nicht, oder?” Sie verschüttete fast ihren Champagner, als sie herumwirbelte und in Sam Delacourts dunkle Augen sah. “Jemand hat’s dir verraten, was?”
Kate musste lachen. “Nick Santana. Und es war ihm so peinlich! Ich darf es auf keinen Fall Amber sagen. Dabei bin ich froh, dass ich es wusste, sonst wäre ich womöglich in T-Shirt und Jogginghose aufgekreuzt.” Sie deutete auf ihr limonengrünes Sommerkleid, unter dem sich die sanften Kurven ihrer Brüste und Hüften abzeichnete. Für einen Wimpernschlag glaubte sie in seinen Augen etwas erkennen zu können, vor dem sie den Blick abwandte. Aber er wollte nur wissen, wie lange sie und Nick sich schon kannten, und ließ dann seinen Blick zu Deke Russo hinüberwandern, der mittlerweile ziemlich betrunken war. Seit Sams Ankunft hatte er mehrere Whiskys gekippt, und seine unverwechselbare Stimme dröhnte bis zu ihnen herüber. Es ging um Politik, und offenbar hörte man ihm gebannt zu.
“Nick hatte es mehr mit Amber als mit mir”, sagte Kate. “Die ganze Oberstufe hindurch waren sie ein Pärchen.”
“Ob das Dekes Publikum weiß?”, fragte Sam. “Nachdem Nick in die Schießerei verwickelt worden war, hat er ihn jedes Mal in seiner Sendung übel fertiggemacht, mit versteckten Andeutungen und haltlosen Gerüchten, wochenlang. Seiner eigenen Glaubwürdigkeit täte es nicht besonders gut, wenn die Leute wüssten, dass seine Frau früher mal etwas mit genau diesem Nick hatte.”
Kate hob hilflos die Schultern. “So sind die Leute. Einige wären geschockt, andere würden es ignorieren oder irgendwie auch verstehen.”
“Wahrscheinlich hast du recht. Im Grunde liegt er bei manchen Themen gar nicht so daneben. Bei anderen allerdings …” Er machte eine vage Handbewegung.
“Keine Ahnung. Ich kenne seine Sendung nur von früher. Du zählst doch nicht etwa zu seinen Fans?”
“Das nicht, aber manchmal hör ich ihn im Autoradio, wenn ich die vierundzwanzig Meilen über die Causeway Bridge pendle. Er doziert über Verantwortung, den Wert harter Arbeit und einer ordentlichen Ausbildung, die Rolle der Familie sowie Recht und Gesetz, und dem kann ja kein Mensch widersprechen. Aber er ist extrem konservativ. Eine Änderung des amerikanischen Lebensstils lässt er nicht zu.”
Kate verdrehte die Augen. “Das überrascht mich keineswegs.”
Er lachte leise in sich hinein. “Hört sich nicht so an, als wolltest du seinem Fanclub beitreten.”
“Eigentlich kenne ich ihn kaum.”
“So? Obwohl ihr so dicke Freundinnen seid, Amber und du?”
“Früher, jetzt nicht mehr so.” Auch Kate sah nun zu Deke Russo hinüber. Einen Arm hatte er besitzergreifend um Ambers Schulter gelegt, mit dem anderen gestikulierte er herum, als wolle er jeden Satz unterstreichen. Beide lächelten, aber etwas an ihrer Körpersprache kam Kate seltsam vor. “Macht Amber auf dich einen glücklichen Eindruck, Sam?”
Er folgte ihrem Blick. “Woran soll man das erkennen, Kate? Soweit ich sehe, lächeln beide.”
“Das tun Serienmörder auch!”
“Holla!” Sam zog verblüfft die Augenbrauen hoch. “Vom bigotten Heuchler zum Serienmörder? Sollen wir mal nachsehen, ob er eine Waffe dabei hat?”
“Wenn er eine hätte, würde es mich nicht wundern”, bemerkte sie. “Das gehört auch zu seinen Markenzeichen, dass er überall herumposaunt, eine Waffe zu tragen sei ein Bürgerrecht.”
“So denken viele”, wandte er trocken ein. “Steht in der Verfassung.”
“Typisch Mann.” Kate stellte ihr leeres Glas auf ein Tablett. “Warum sollte jeder eine Waffe besitzen? Die Männer fordern das immer, das steckt ihnen so im Kopf. Wenn es Deke wirklich um Familie, Werte, Verantwortung und dergleichen ginge, dann würde er etwas gegen die vielen Kalaschnikows und Uzi-Maschinenpistolen unternehmen, die bei uns mittlerweile fast so zur Kultur gehören wie PCs.”
Sie bemerkte, dass Sam sie amüsiert musterte. “Ich hatte ganz vergessen, wie leidenschaftlich du werden kannst”, sagte er, wobei sein Blick über ihr Gesicht glitt. Sie spürte, wie sie errötete; glücklicherweise standen sie nicht in einem hell erleuchteten Bereich. “Wenn du die Schlachthausszenen kennen würdest, die
Weitere Kostenlose Bücher