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Ausdruckstanz ist keine Lösung: Geschichten

Ausdruckstanz ist keine Lösung: Geschichten

Titel: Ausdruckstanz ist keine Lösung: Geschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Scheffler
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sich selbst. Das ist schizophren. Da wird man als Kind zwar nicht unbedingt bekloppt von, aber man ist doch irritiert. Wenn Mutti von Mutti spricht, dann ist es ihre. Heute würde man, in das damalige Kind versetzt, sagen: »Wenn du Omma meinst, dann lehne ich ab, weil die als Kriegsgeneration nur das Allernötigste auf die Brotscheibe legt und es bei ihr nicht ›Bütterken‹, sondern ›Margarineken‹ heißen müsste.« Oder dass man nicht einfach von den Eltern ganz normal geduzt wird! Da heißt es stattdessen: »Da hat Andreas aber Pfuibah auf den Teppich gemacht.« Statt einfach zu sagen: »Mensch Andreas, dass du da grade auf den Teppich gekotzt hast, war echt scheiße.«
    Ich hätte mir gewünscht, als Kind und besonders als Jugendlicher wie ein Erwachsener behandelt zu werden. Nicht immer diese erst sprachliche, dann physische und juristische Überlegenheit zu spüren. Von Gleich zu Gleich wollte man behandelt werden. Bobby Ewing hat seinen Adoptivsohn immer »Partner« genannt. Aber ob er ihn hinter den Kulissen verdroschen hat, weiß man nicht. Eine Schulfreundin hat mir mal gesagt, ich wäre bestimmt mal ein toller Vater, und ein wichtiger Lehrer hat behauptet, ich wäre sicher mal ein prima Pädagoge, aber das wird man nie herausbekommen. Ich sitze vor dem Fernseher, gucke Zwei bei Kallwass und denke: Wie blöd können Menschen nur sein!«
    Sabine hat sich mit ihrer neuen Dorfbekanntschaft Corinne zum Shoppen verabredet. Shoppen ist vom Wortsinn her das Gleiche wie Einkaufen, bedeutet aber Zielloses-Geld-Ausgeben-für-nutzlosen-Kram. Ich sage nichts dagegen, denn dass ich aus diversen Baumärkten inzwischen fünf Sets von Spiralbohrern und eine ganze Kiste voll Schrauben und Dübeln habe, ist auch nicht unbedingt nötig. Auch wenn es Schnäppchen waren. Man muss Kompromisse eingehen. Ich sage: »Ja, während ihr Shoppen geht, passe ich auf Corinnes Kinder auf.« Jason, zwölf Jahre alt, und Klara, neun, kennen mich auch schon ein wenig. »Aber heute kommt noch der Klempner«, sage ich, »wegen der Pumpe. Da hab ich dann mal kurz keine Zeit.« – »Kein Problem«, sagt Corinne, »die können sich auch mal mit sich selbst beschäftigen.«
    Gerade haben die Kinder es sich im Wohnzimmer eingerichtet und einen Karton voll Spielsachen ausgekippt, da klingelt es, und der Klempner steht vor der Tür. »Ich komme wegen der Pumpe für die Klospülung«, sagt er, ich zeige ihm die Räumlichkeiten, und er macht sich an die Arbeit. Ich schaue mir derweil Frau Kallwass an, wie sie eine Familie auseinandernimmt, dabei ein adoptiertes Kind seinen Vater wiederfindet, gleichzeitig eine 50-Jährige begreift, dass sie ihr Kind nicht abtreiben kann, ihr Freund sich als schwul outet und sein Vater seinen Beruf als Pfarrer an den Nagel hängt, weil er mit der minderjährigen jüngeren Schwester des Schwulen ein Verhältnis hatte, aus der ein behindertes Kind entstanden ist, welches soeben einen Suizidversuch verübt hat, weil es im Leben nicht mehr durchblickt.
    Den Kindern wird langweilig. Jason will gerade über seine jüngere Schwester herfallen und ihr eine Büroklammer durch die Nasenscheidewand stechen. Ich schreite ein. Zwar ist es ihr Bier, was sie so machen, aber ich habe die Aufsicht und muss sehen, dass niemand zu Schaden kommt. Ich sage: »Jason, wenn Klara das nicht will, dann lass sie in Ruhe.«
    »Aber Klara will doch ein Piercing in der Nase«, schreit Jason.
    Ja«, sage ich, »aber das muss doch ein Fachmann machen. So Leute, kommt, jetzt gehen wir erst mal auf die Terrasse eine rauchen.«
    Klara nimmt die Zigarette von mir an. Bricht sie in zwei Teile und wirft sie in eine Pfütze. Jason nimmt einen Zug, hustet und wirft die Kippe hinterher. Kluge Kinder.
    Der Klempner kommt aus dem Hauswirtschaftsraum und erzählt, dass er mit der Pumpe, die jetzt das Regenwasser für unsere Toilettenspülung nutzt, fertig ist. Als er mir die Rechnung überreicht, bekommt er einen berufseigenen Geistesblitz: »So, jetzt können sie ordentlich kacken, und es kost’ sie nix.« Ich empfinde das Gesprächsniveau nicht als sehr angenehm, aber ich will nicht den Vornehmen spielen. Ich sage: »Na ja, nicht ganz, denn vor dem Kacken muss man ja schon was essen, und das kostet was.« Er kommt kurz ins Grübeln, dann hellt sich sein Gesicht auf, und er greift sich an die Stirn. »Verstehe. Vorm Kacken muss man natürlich essen. Von nix kommt schließlich nix.« Er lacht sich kaputt, ich lache ein wenig mit, die Kinder schauen auf

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