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Auserkoren

Titel: Auserkoren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
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nicht sagen: Das, was wir hier machen, ist falsch. Also sage ich: »Nein, das hat nichts mit gestern Abend zu tun.«
    Ich höre das dünne Stimmchen von Carolina, lausche auf ihren leisen Singsang. Er kriecht mir unter die Haut, durchbohrt mein Herz. Wenn ich es nicht besser wüsste, ich würde ganz bestimmt denken, ich verblute.
     
     
    Als meine Mutter schläft und die Arbeit im Garten getan ist, stehe ich auf der hinteren Veranda und schaue in die Richtung, in der Amaretto liegt. Die Stadt ist ein paar hundert Meilen entfernt und sehr groß. Groß genug für ein Mädchen, um darin verloren zu gehen.

    Onkel Hyrum heiraten zu müssen, ist Grund genug, von hier wegzulaufen.
    Aber wenn Vater mir vielleicht doch helfen kann …
Wenn ich jemals von hier weggehe
(Sollte ich so etwas überlegen?
Nein, ich darf so etwas nicht mal denken.)
wenn ich jemals von hier weggehe
(Vielleicht tue ich es ja doch.)
dann suche ich mir ein Haus
in dem ein Klavier steht
und wo es Ärzte gibt
die meiner Mutter helfen
und wo es keinen alten Mann gibt
keinen Onkel
der mein Mann werden soll.
    Als ich das dritte Mal ein Buch auslieh, sagte der Bursche mit der Baseballmütze: »Hey, da wir beide Leseratten sind, sollte ich dir wohl sagen, wer ich bin.« Er streckte mir die Hand hin. Ich erstarrte.
    Bei uns geben sich Männer und Frauen niemals die Hand.
    »Ich heiße Patrick«, sagte er. Seine Hand war weiter ausgestreckt, so als hätte sie ihren eigenen Willen.
    »Okay«, antwortete ich und streckte ihm meine Hand hin, berührte jedoch nur seine Fingerspitzen. Seine Hand war kühl.
    »Ich heiße Patrick«, sagte er. »Nur damit du es weißt.«

    Meine Füße schienen am Boden festzukleben.
    »Na los, sieh dich ruhig um«, sagte Patrick und machte eine einladende Handbewegung. »Schau nach, was wir heute haben.«
    Dann drehte er sich in seinem Sitz um und sah mir zu, wie ich langsam nach hinten zu den Büchern ging.
    »Und meine Frau heißt Emily«, fuhr er zu meiner Überraschung fort. »Wir haben einen kleinen Sohn, er heißt Nathan.«
    An diesem Tag hielt ich mich zurück, obwohl ich am liebsten damit herausgeplatzt wäre. Am liebsten hätte ich gesagt: bei mir auch. In unserer Familie gibt es diese Namen auch. Ich bin nicht die Älteste, wollte ich ihm sagen. Da sind noch Adam und Nathaniel (wie dein Nathan) und Finn. Ich wollte ihm sagen: Ich habe eine Schwester, die Emily heißt - genau wie deine Frau. Sie ist älter als ich. Aber sie ist etwas langsam im Kopf. Das alles hätte ich ihm am liebsten gesagt, aber stattdessen suchte ich weiter nach einem Buch. Schließlich fand ich Die Borger und lieh sie aus. Dann ging ich zur Rückseite des Lieferwagens und ließ das Buch unter meinem Kleid verschwinden.
    »Danke«, flüsterte ich Patrick zu, als ich, das Buch gut versteckt, aus dem hinteren Teil des Wagens nach vorne kam.
    »Bis nächste Woche«, sagte er. »Verlass dich drauf.«
    Ich sprang auf die Straße, Staubwölkchen stoben zu meinen Füßen auf. Dann machte ich mich auf den Heimweg.
    Hinter mir sprang der Motor der Rollenden Bibliothek von Ironton an.

    Ich trat von der Straße zurück, und als der Lieferwagen an mir vorbeifuhr, winkte ich mit beiden Armen.
    Patrick hielt an und kurbelte das Fenster herunter. »Noch ein Buch gefällig?«, fragte er.
    Ich schüttelte den Kopf. »Ich heiße Kyra«, sagte ich.
    »Tja, nett, dich kennenzulernen, Kyra«, sagte Patrick, und er grinste so breit, dass ich seine krummen Schneidezähne sehen konnte.
    Ich nickte und stand einfach da.
    »Kann ich dich ein Stückchen mitnehmen?«
    »Nein, danke«, sagte ich.
    »Dann bis nächste Woche.«
    Und weg war er, mit all den Büchern.
     
     
    Laura kommt zu mir heraus auf die Stufen der hinteren Veranda. Sie steht neben mir und schweigt. Keine von uns sagt ein Wort.
    Sie greift nach meiner Hand, verschränkt ihre Finger in meine.
    Meine Augen werden feucht.
    »Ich liebe dich, Kyra«, sagt Laura. Dann lehnt sie sich an mich. Ich rieche das Shampoo, mit dem sie ihre Haare wäscht. »Ich habe dich lieb.«
    Ich sage nichts. Ich drücke nur mein Gesicht an ihres. Versuche, nicht zu weinen. Halte nur ihre Hand und hoffe.
     
     
    Ich bin das erste Kind meiner Mutter. Ich kam auf die Welt, als sie fast vierzehn war.

    »Stell dir mal vor«, sagte ich zu Laura, als ich gerade zwölf Jahre alt geworden war. »Ich bin jetzt beinahe so alt wie Mutter Sarah, als sie geheiratet hat.«
    Laura sah mich an, ihre blinzelnden Augen hatte sie noch stärker zugekniffen

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