Ausgeblüht: Kriminalroman (Psycho-Krimi) (German Edition)
hinzu und setzte ein fettes Fragezeichen dahinter. „Gefühl der Hoffnungslosigkeit und Leere“, bemerkte er als nächstes, malte einen Pfeil und notierte als Schlussfolgerung: „Ausgeprägt depressiv, verzweifelt.“
„Warum wollten Sie Selbstmord begehen, was war denn so aussichtslos in Ihrem Leben?“
Grübelnd schaute Frank in das Neonlicht an der Decke. Er schien weit weg in Gedanken und antwortete nicht. Dr. Nickel betrachtete ihn und konnte rein optisch keinen Grund erkennen, warum dieser Mann, im besten Alter, so unglücklich war, besaß er mit seinen 49 Jahren doch vieles, wovon andere Männer träumten. Er war groß, schlank, gut aussehend. Blondes, dichtes Haar, extrem kurz geschnitten. Trotz seiner geschilderten Stresssituation hatte er gleichmäßige, faltenlose, homogene Gesichtszüge wie bei einem Mannequin, mit stahlblauen Augen, breiten, wohlgeformten Brauen und knackigen breiten Lippen. Sein Körper war muskulös, wohlgeformt. Kein Bierbauch, kein Fett, von Alterserscheinungen keine Spur. Der Einlieferungsschein verriet, dass er praktizierender Arzt und verheiratet war. Die gesellschaftlichen Koordinaten schienen also auch zu stimmen.
Frank erleichterte ihm seine Arbeit ungemein, indem er weiter redete.
„Der Grund für diese grausame Entscheidung waren unsere Ehepartner, meine Frau wusste alles, das weiß ich seit gestern. Sie drohte mir mit Scheidung und sie wollte den Gatten meiner Freundin informieren, wenn ich nicht Schluss mache. Sie war verzweifelt, weinte, klammerte sich an mich, und ich fühlte mich schuldig. Wir haben vier Kinder, müssen Sie wissen. Die würde ich im Stich lassen, wenn ich gehe, warf sie mir vor und traf mich an meinem wunden Punkt. Natürlich liebe ich meine Kinder, aber sie nicht, sie schon lange nicht mehr, das wurde mir in diesem Moment, wie ich ihr verheultes Gesicht sah und ihren beißenden Atem roch, wieder so klar. Sie ist hässlich geworden, grau. Ihr Körper schwitzt und ist voller Wasser aufgedunsen, sie jammert den ganzen Tag über ihre Wechseljahre, macht nichts dagegen und lässt sich gehen. Seit ihrer ersten Schwangerschaft hat sie sich vernachlässigt und ist in die Rolle der Gebärmaschine geschlüpft. Wenn es nach ihr gegangen wäre, hätten wir zwanzig Kinder. An diesem Abend kapitulierte ich und verließ panisch das Haus, um mich mit Saskia zu treffen. Die kam aber auch hoffnungslos und verstört auf mich zu und sank heulend in meine Arme.“
Frank stieg auf. Er hatte beobachtet, wie sich die Schwester erfolglos bemühte, einen prall gefüllten Müllsack aus dem Schrank zu zerren, und half ihr. Dabei erzählte er dem Psychiater mit wenigen Worten, dass auch Saskias Ehemann Bescheid wusste und mit seinen Drohungen das letzte Fünkchen Hoffnung auf eine gemeinsame Zukunft zerstörte. Er würde die Tochter töten, wenn sie ihn verließe.
Da hätten sie beide beschlossen, aus dem Leben zu scheiden, indem sie sich die Pulsadern durchschneiden. Auch den Ort hätten sie bewusst gewählt. Das Zimmer 233 war ihr Zimmer, ihr Liebesnest, indem sie viele Nächte gemeinsam verbracht hatten, und hier wollten sie auch sterben. Das Zimmer war frei, und es gab somit keinen Hinderungsgrund mehr. Jetzt, nach der missglückten Aktion, sei alles noch schlimmer, sein Leben erst recht ruiniert.
Dr. Nickel war schon lange auf der letzten Seite seines Schreibblocks angelangt und diagnostizierte in kleinster, kaum lesbarer Schrift:
„Der Patient ist bewusstseinsklar und zu allen Qualitäten voll orientiert, aber weiterhin ausgeprägtes Gefühl des Lebensüberdrusses.“ Dann folgte wieder ein Pfeil, und dahinter stand als Fazit: „Weiterhin akute Suizidalität. Empfehlung: Aufnahme in die geschützte psychiatrische Station.“
Kapitel 11
Gunter Brecht hatte ihm gerade noch gefehlt, dieses aufgeschwemmte Mamakind mit seiner lächerlichen Hoteluniform, der ihn seit der Grundschulzeit verfolgte im festen Glauben, sie beide seien Freunde und ihm ewige Treue attestierte, ohne zu fragen, ob er, Oskar Schmitt, das auch so sieht und wünscht.
„Was willst Du?“, fragte er launisch. „Ich hab’ ne Story für Dich, top secret“, rief er aufgeregt. „Du liebes bisschen. Gunter hat ’ne Story.“
Wahrscheinlich wieder so eine hirnverbrannte Idee, die keinen Menschen interessiert, dachte er.
„Ist der Hotelsafe ausgeräumt worden?“, fragte er gelangweilt.
„Ne, Oskar, es ist viel besser, Du wirst mir um den Hals fallen, Du wirst begeistert sein, das
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