Ausgeblüht: Kriminalroman (Psycho-Krimi) (German Edition)

Leitung dauerte keine halbe Minute, und er bekam die Antwort, die er brauchte.
    „Ich könnte eine Kollegin fragen, die noch Dienst hat?“
    „Genau das machst Du, und in zehn Minuten rufst Du mich auf dem Handy an, alles klar?“
    Oskar verabschiedete ihn katzenfreundlich, legte zufrieden den Hörer auf und griff die Fototasche. Jetzt verstand er, warum sein Rundruf am Morgen kein Ergebnis gebracht hatte. Suizid durfte nicht gemeldet werden. Da herrschte Stillschweigen bei den Ermittlungsbeamten. Offiziell würde er deshalb auch keine Informationen bekommen. Also musste er einen seiner Polizeispitzel anzapfen, und da fiel ihm Reiner vom Rauschgiftdezernat ein. Der war zwar sicher nicht involviert, aber der konnte sich ja schlau machen, während er zum Tatort eilte.
    Glücklicherweise war Reiner auf dem Revier und bereit, den kleinen Hilfsdienst zu erledigen. Oskar spürte, wie er langsam in Fahrt kam, das Adrenalin seine Adern emporstieg. Die Trinkerei hatte seinen Jagdtrieb doch nicht zerstört, er riss die Jacke von der Stuhllehne und rannte aus dem Büro direkt zum Redaktionsleiter.
    „He Michi, scharf auf eine echt leckere Schlagzeile? Hier kommt sie!“ Jetzt war er in seinem Element, Überschriften machten ihm keine Probleme, denn sie waren in seinem Genre einfach, und er hatte Routine. Im Gegensatz zu den Kollegen benötigte er keine Unterstützung von den Experten aus der Schlagzeilen-Redaktion. Es ging immer um das Gleiche. Mord und Totschlag, Skandale, Schicksalsschläge oder Unglücksfälle. Das Vokabular für solche Schreckensmeldungen war begrenzt, simpel, und verfehlte seine Wirkung nie. Dazu ein Foto, und der Köder lockte wie ein leckeres Stück rohes Fleisch an der Angel eines Sportfischers. Zudem garantierte ihm der grenzenlose Voyeurismus seiner Leser die volle Aufmerksamkeit, selbst bei der schlechtesten Headline. Hauptsache, die Fotos waren krass. Also überlegte er nicht lange und rief Michi beim Vorübergehen betont salopp zu:
    „Mysteriöser Mordversuch im Print Hotel: Wer verursachte das Blutbad?“ Obwohl er noch keinen blassen Schimmer über den wirklichen Tat hergang hatte, schleuderte er die Botschaft heraus. Sollte die Kriminalpolizei zu einem anderen Ergebnis kommen, war diese Aussage jederzeit widerrufbar. Viel wichtiger schien ihm in diesem Zusammenhang das Wort „mysteriös“. Wenn etwas geheimnisvoll ist, dann muss das Geheimnis gelüftet werden, und das konnte mehrere Artikel beanspruchen, und mit ein bisschen Glück könnte er eine ganze Serie entwickeln. Dieser Gedanke gefiel ihm. Das war die Chance, zumindest für kurze Zeit aus der Schusslinie der Neun-Uhr-Konferenz zu kommen. Ein bisschen Zeit und Ruhe würde er gewinnen, und wie man eine Story am Kochen hält, na, das wusste er doch am Allerbesten.
    „Moment, Schmitt“, ereilte ihn die Stimme des Redaktionsleiters.
    „Komm mal kurz in mein Büro.“ Michael Roth, von der Redaktion „Michi“ genannt, war auf den Flur getreten und stopfte gemütlich sein Hemd in die Hose.
    „Was bläst der sich denn jetzt vor mir auf“, dachte Oskar und ging vorsichtig auf ihn zu. Michi w ar riesig groß, cirka 1 Meter 98, und lief stets mit eingezogenen Schultern durch die Gegend. Mit überheblicher, selbstsicherer Mine positionierte er sich breitbeinig in der Mitte des schmalen Ganges, der im faden Neonlicht lag. Um seinem Auftritt eine selbstsichere Note zu verleihen, nahm er bewusst eine lässige Haltung ein und klammerte nun die Hände um seinen Gürtel.
    „ Ich bin in Eile, Michi, was hast Du?“ Sicherheitshalber hielt er Distanz, um nicht Gefahr zu laufen, dass Michi vielleicht trotz Lutschbonbon seine Alkoholfahne wittern könnte. In seiner Gegenwart fühlte er sich noch kleiner, als er schon war, und es ärgerte ihn, von diesem Jungspund, der in seinen Augen journalistisch nichts drauf hatte, herumkommandiert zu werden.
    „Was heißt hier Mordversuch im Print Hotel? Heute etwa? Wann soll das bitteschön passiert sein, und wieso kommst Du damit erst jetzt? Wir haben bereits zwölf Uhr, Du weißt, die Konkurrenz schläft nicht. Bist Du Dir ganz sicher, dass es sich um das Print Hotel handelt, die beste Adresse in Berlin? Da laufen doch die Vorbereitungen auf Hochtouren für die Sitzung vom Internationalen Olympischen Komitee. Bist Du Dir ganz sicher? Von wem hast Du die Message?“
    Michi überschüttete ihn mit Fragen, auf die er nicht antworten wollte, noch nicht. Und seine Quelle durfte er auf keinen Fall nennen. Die