Ausgeblüht: Kriminalroman (Psycho-Krimi) (German Edition)
ist wieder zu spät zum Unterricht erschienen. Greta hat zum fünften Mal keine Hausaufgaben gemacht. Greta hat vor der Lehrerin auf den Boden gespuckt, Greta beleidigt die Lehrer, Greta kratzt und schlägt ihre Mitschüler! Es fehlen die Unterschriften auf den Infozetteln. Greta hat im Unterricht geschlafen“, so ging das Woche für Woche, und alle Gespräche, Drohungen oder in Aussicht gestellte Belohnungen halfen nichts. Greta hasste die Schule, hasste die Lehrer, fand keine Freunde, und das brachte sie regelmäßig äußerst deutlich zum Ausdruck. Die permanente Angst im Nacken, dass Greta rausfliegt und Albert etwas von ihren Schulproblemen erfährt, trieb Saskia an. Als Einzelkämpferin war sie unterwegs, telefonierte, verhandelte mit den Lehrern, mit dem Direktor, gab Erklärungen und Versprechungen ab und bettelte um Verständnis und Unterstützung. Ihr einziges Glück waren Gretas Noten. Ihre hohe Intelligenz und schnelle Auffassungsgabe retteten sie von Versetzung zu Versetzung und verhinderten letztlich die angedrohten Sanktionen. Aber der Ritt auf der Rasierklinge kostete Saskia Kraft und Nerven, so kam sie öfter am Abend bei Olivia vorbei, um einfach Luft zu holen, um sich auszuheulen, und sie überlegten gemeinsam neue Strategien. Dass dieses kleine Biest nun so abfällig über die Mutter urteilte, war in Olivias Augen die Reaktion eines verletzten Kindes, das den Selbstmordversuch vielleicht als Verrat und Vertrauensbruch empfand.
Sie stand auf, ging an ihr großes Bücherregal und zog ein fettes blaues Fotoalbum heraus. Dann setzte sie sich neben Greta und schlug es auf. Bilder aus glücklichen Zeiten waren da zu sehen. Greta auf dem Schoß von Saskia, eng umschlungen. Saskia und Olivia im Partydress und Greta in der Mitte. Saskia, wie sie lachend Greta aus dem Schwimmbecken fischt. „Kannst Du Dich an diese Zeit erinnern?“ Olivia nahm ihre Hand. „Schließe die Augen, Greta, und versuche Dich zu erinnern, wie das war, wenn die Mama Dich umarmt hat.“ Artig schloss sie die Augen, um sie sofort wieder heftig aufzureißen. Wütend sprang sie auf den Boden und marschierte wie ein Zinnsoldat auf und ab.
„Du hast keine Ahnung, Olivia, Du kapierst es nicht. Du weißt nicht, was los ist.“
„Okay Greta, dann erzähl es mir!“
„Wenn andere Kinder nach Hause kommen, essen sie gemeinsam mit der Mama zu Mittag, dann machen alle zusammen die Hausaufgaben und laden Freundinnen ein, und die Mama kümmert sich, backt Waffeln oder macht Popcorn.“
„Moment Mal, Greta, was erzählst Du denn da? Ich kenne keine Familie, wo die Mama nur um ihre Kinder rum springt und von morgens bis abends Waffeln backt. Die meisten Mütter sind sogar berufstätig, und ihre Kinder gehen nach der Schule in den Hort oder Schülerladen, manche Kinder sind sogar den ganzen Tag alleine zu Hause und müssen sich um ihre Sachen selbst kümmern, und Popcorn gibt es vielleicht mal am Wochenende oder am Kindergeburtstag. Entschuldige Greta, aber was hast Du für absurde Vorstellungen?“
Während Olivia das aussprach, wurde ihr klar, dass Greta doch nur ihre tiefsten inneren Wünsche mitteilte, dass sie einem Ideal nachhing, das nicht erfüllt worden war und dass sie darunter litt.
„Meine Mama hat mich nie geliebt, das hat sie mir auch gesagt.“
Sie schnappte ihren Schulranzen, öffnete die vorderste Tasche und zog mehrere kleine Zettel heraus. „Da, lies mal, Olivia, Mamas Liebesbriefe!“
Saskias Handschrift war deutlich zu erkennen.
„Greta, räume die Spülmaschine aus, Kuss Mama. Greta, räume Dein Zimmer auf, Kuss Mama. Gieße die Blumen. Mache Deine Hausaufgaben. Mache Dir ein Brot, bin gleich wieder da.“
Aufgaben, die Olivia als völlig normal empfand, die in ihrem Elternhaus zur Tagesordnung gehört hatten. Greta spürte das Unverständnis und versuchte, ihre Vorwürfe zu präzisieren, um ihnen die nötige Gewichtung zu verleihen, die sie aus ihrer Perspektive besaßen.
„Du weißt nicht, wie das ist, wenn da steht: „Mache Dir ein Brot“, und Du riechst, dass sie gekocht hat, nur leider nicht für Dich, sondern für ihn.“ Ihr Gesicht verzog sich ekelerregt.
„Greta, wen meinst Du mit ihn?“
„Na, ihren Frank, den Doktor Stein. Jeden Tag hat sie ihm Mittagessen in die Praxis gebracht.“
Olivia fand alles suspekt, was Greta da von sich gab, vermutete hinter jedem Vorwurf kindliche Eifersucht. Saskia als Rabenmutter, so wollte und konnte sie ihre Freundin nicht sehen, also versuchte sie Greta,
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