Ausgeblüht: Kriminalroman (Psycho-Krimi) (German Edition)
stand ein noch älterer abge blätterter Garderobenständer, an dem aktuelle Zeitungen hingen. Jeder konnte sich bedienen. Olivia stand auf, betrachtete das Angebot und entschied sich für den Berliner Boten. Das war zwar nicht gerade ihre bevorzugte Lektüre, aber dafür schrieb doch dieser Typ, mit dem sie sich treffen sollte. Es schien ihr eine gute Idee, mal reinzuschauen und sich die Machart dieses Blattes genauer zu betrachten. Mit Unbehagen las sie die Überschriften der Titelseite und erkannte sofort den reißerischen Boulevardstil. Die Millionenscheidung zwischen einem abgetakelten Schlagerstar und seiner 20 Jahre jüngeren Ehefrau, einer Ex Miss Germany, thronte über brutalen Überfällen ganz oben in der Mitte.
Selbst die Lottozahlen schienen wichtiger als der Nato-Gipfel und waren in einem großen Kasten neben dem Aktfoto einer Nachrichtensprecherin platziert, die es gewagt hatte, sich in einer berühmten Pornozeitschrift ablichten zu lassen. Entsetzt blätterte sie weiter und landete auf dem Potsdamer Lokalteil. Das Foto von Saskia und Frank fiel ihr sofort auf, und sie begann eifrig zu lesen.
„Gefällt Ihnen mein Artikel?“
Oskar Schmitt hatte sie erkannt, obwohl er sie noch nie gesehen hatte, und reichte ihr freundlich die Hand. Bevor sie auch nur ein Wort sagen konnte, entschuldigte er sich für seine Verspätung und berichtete ihr vertrauensvoll von seiner Unterredung mit dem Staatsanwalt, während er seine Tasche abstellte und sich zu ihr setzte.
„Darf ich Sie auf einen Drink einladen?“
Olivia stotterte, dass sie mittags keinen Alkohol trinken würde und eine heiße Schokolade mit Sahne bevorzuge. Oskar bestellte gleich zwei Tassen.
„Gute Idee, so eine heiße Schokolade habe ich ewig nicht mehr getrunken. Macht zwar dick, aber schmeckt echt lecker.“ Er grinste sie an und klopfte sich selbstkritisch auf den Bauch.
Um einen neuen Informanten gefügig zu machen, war es wichtig, eine gemeinsamen Nenner oder eine gemeinsame Schwäche zu finden, etwas Verbindendes, womit sich der Gesprächspartner identifizieren konnte. Olivias Übergewicht war nicht zu übersehen, und dass sie darüber unglücklich war, zu 99 Prozent sicher. Abnehmen, das war doch ein alltägliches Thema, überall auf der Welt. Nicht umsonst boomte der Verkauf von Diätprodukten. Er hätte lieber ein Bier getrunken, nun rührte er synchron mit Olivia in der Sahne und begann sein taktisches Fragespiel.
„Ihre Freundin hätte sich so etwas Leckeres nicht genehmigt, stimmt’s?“
„Saskia ist nicht meine beste Freundin, sie ist eine gute Bekannte.“
„Aha“, Oskar machte die bewährte strategische Pause, und Olivia bestätigte, dass Saskia niemals etwas Süßes zu sich nahm und sehr auf ihre Figur achtete. Schönheit sei ihr wichtigstes Thema und für sie, Olivia, vollkommen unwichtig. Was natürlich geflunkert war.
Sie tauschten sich über ihre Erfahrungen mit Abmagerungskuren aus, und Olivias Nervosität legte sich. So unangenehm war der schlampige Reporter gar nicht. Sie fühlte sich ganz wohl in seiner Gegenwart und ging in die Offensive.
„Warum wollen Sie mich sprechen?“
„Der Fall Ihrer Bekannten interessiert mich, er ist tragisch.“
Olivia leckte den Löffel ab und nickte.
„Das ist er. Das hat sie nicht verdient, die Arme.“
„Die Arme?“
„Sie liebte diesen Mann und durfte ihn nicht lieben. Sie vertraute ihm und glaubte an eine gemeinsame Zukunft, aber das war wohl eine Einbahnstraße.“
„Verstehe ich nicht.“
Olivia erschrak über sich selbst, unüberlegt hatte sie dem Reporter ihre Erkenntnisse mitgeteilt. Aber sie bereute diesen Schritt keineswegs, er könnte ihn auf ihre Fährte umlenken. Mutig kritisierte sie die Überschrift seines Artikels. „Liebe bis in den Tod“, diese Aussage sei ihrer Meinung nach falsch.
„Für Frank Stein war das keine Liebe?“
„Eher eine Last.“ Olivia trank die Schokolade in einem Zug und rieb sich mit dem Handrücken die Sahne von der Oberlippe. Ihre Unbekümmertheit gefiel Oskar, und er bestellte Nachschub. Das geplante Interview wurde für beide ein ergiebiges Gespräch. Gegenseitig tauschten sie Informationen aus. Olivia erzählte von Franks saloppem Lebenswandel und Oskar von den eingestellten Ermittlungen und dem eiskalten Ehemann, der Saskias Beerdigung bereits vorbereitet habe.
„Das passt zu Albert. Er wirft die Flinte zu schnell ins Korn, dieser Fatalist. Saskia wird überleben, die Frage ist nur, wie?“
Unwissend sprach sie
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