Ausgeblüht: Kriminalroman (Psycho-Krimi) (German Edition)
verließen Greta und Olivia das Haus, es gab keinen Grund zu bleiben, und es gab niemanden, der sie aufhielt. Albert rief auf dem Handy an und entschuldigte sich für den Ausrutscher. Olivia gab Greta den Schlüssel, schickte sie vor und schützte sich vor dem kalten Wind in einem Hauseingang. Alberts Stimme war belegt und rau. Er wollte wissen, ob seine Tochter noch ein bisschen bei ihr bleiben könne, weil er Stress mit den Vorbereitungen für Saskias Trauerfeier habe, die wäre schließlich in zwei Tagen.
„So früh? Wie geht das denn, Albert, sie ist doch noch gar nicht tot?“
„Morgen schon.“
„Und was ist mit Abschied nehmen, wann fährst Du mit uns ins Krankenhaus?“
„Gar nicht.“
„Wie bitte?“
„Niemand wird sie so mehr sehen. Jeder soll sie in Erinnerung behalten, wie sie war, die Madame Tausendschön.“
Berstende Emotionen zischten durch Olivias Hirn, seine Skrupellosigkeit verletzte genauso wie dieser gnadenlose Egoismus, mit dem er über alles und jeden entschied, den er selbst jetzt in dieser schweren Situation nicht aufgab. Der Verlust eines geliebten Menschen, das zu Grabe tragen, die Sorge um das eigene Kind, all diese schmerzlichen Erlebnisse wurden gehandhabt und wie unangenehme Termine abgearbeitet. Für Sensibilitäten war in Alberts Leben kein Platz. Wie sehr musste Saskia, die nach Liebe und Zärtlichkeit gierte, darunter gelitten haben, und wie sehr litt Greta?
Der Anrufbeantworter blinkte wild, das war sicherlich das Dolmetscherbüro, denn sie hatte ihren Text nicht abgeliefert. Die Ereignisse überschlugen sich, sie musste dringend an die Arbeit und gleichzeitig Greta beschäftigen, die summend am Esstisch saß und anscheinend etwas bastelte.
„Was machst Du da Schönes?“ Olivia ging vorsichtig auf sie zu und sah, wie Greta mit einem Küchenmesser den Bauch des Stofftigers aufschlitzte.
„Greta, wieso tust Du das, das ist doch der Charly, Dein Liebling?“
„Eben deswegen.“ Olivia setzte sich zu ihr und nahm ihr den Tiger aus der Hand.
„Das ist aber schade. Den hat Dir die Mama geschenkt!“
Greta überlegte und nahm das zerteilte Kuscheltier wieder an sich.
„Dann flick e ich ihn eben wieder zusammen.“
Olivia gab ihr glücklich Nadel und Faden und beobachtete jeden einzelnen Stich, den die kleinen Finger geschickt führten, und als die Arbeit fertig war, sah sie, wie Greta zufrieden strahlte.
„Das hast Du super gut gemacht“, lobte sie und reichte ihr einen durchlöcherten Strumpf. „Kannst Du auch stopfen?“
„Logisch“, antwortete Greta mit Stolz, und als das Loch in Windeseile repariert war, kam Olivia eine Idee. Sie hatte noch bunte Stoffreste von den Gardinen, die sie in ihrer Wohnung angebracht hatte, und schlug Greta vor, daraus Kissen zu nähen.
Geschäftig saß das Mädchen auf dem Sofa und kombinierte die verschiedenen Muster und Farben, schob die Teile wie ein Mosaik zusammen und trennte sie wieder. Greta hatte sich beruhigt und war voll konzentriert, doch dann sprang sie auf, verschwand in ihrem Zimmer und kam mit einem Schuhkarton zurück.
„ Olivia, ich möchte Dir etwas geben.“ Sie reichte ihr die Schachtel. Überrascht öffnete Olivia den Deckel und fand pornographische Fotos von Saskia.
„Woher hast Du die?“
„Die habe ich schon lange, sie sind von Mama. Ich wollte nicht, dass Papa sie findet, und jetzt möchte ich sie nicht mehr haben. Vielleicht kannst Du etwas damit anfangen.“ Eilig schloss Olivia wieder den Deckel. Greta wusste mehr, als sie ahnte, aber was wusste sie? Welche fürchterlichen Entdeckungen hatte sie noch gemacht, und was machten sie mit ihr? Ein Mädchen, am Anfang der Pubertät. Das Mädchen, das gerade seine Mutter auf mysteriöse Art und Weise verlor, zog die Jeansjacke an und verabschiedete sich.
„Bis später.“
„Wo willst Du hin, Greta?“
„Chillen.“
„Was?“
„Mach’ Dir keine Sorgen, Olivia! Bin um acht Uhr zurück. Ist das okay?“
Olivia willigte ein. Ihr Körper brannte, die Stirn glühte fiebrig. Sie war außerstande, Greta zu trösten, zumindest mit ihr über ihre Mutter und diese peinlichen Bilder zu reden, und wollte nur schlafen. Nachdem Greta gegangen war, versuchte sie zur Ruhe zu kommen, doch der Inhalt des Schuhkartons hinderte sie daran. Sie öffnete ihn erneut und entnahm einen Stapel ungleicher Fotos, die zum Teil mit Polaroid Kamera gemacht worden waren.
Sie sah Saskia, verführerisch wie die schillernden Waren im Schaufenster, auf einem Drehhocker,
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