Ausgebrannt - Eschbach, A: Ausgebrannt - Ausgebrannt
denn das gemacht haben? Die OPEC veröffentlicht schon seit über zwanzig Jahren keine Daten einzelner Ölfelder mehr. In Saudi-Arabien gelten diese Informationen als Staatsgeheimnis.«
Das focht den Mann im teuren Anzug nicht an. »Vorhersagen sind natürlich grundsätzlich mit Unsicherheiten behaftet, das versteht sich von selbst. Aber im Ölgeschäft liegen die größten Unsicherheiten nicht unter, sondern über der Erde. Politische Instabilität, Konflikte, Terrorismus – oder schon einfach verschleppte Entscheidungen. Das Ölgeschäft funktioniert mit langen Vorlaufzeiten. Sie können nicht heute beschließen, eine Raffinerie zu bauen, und morgen haben Sie sie.«
»Es ist blanker Unsinn, was Sie da sagen«, rief der Bärtige. »Wir verbrauchen fünfundzwanzig Milliarden Barrel Öl pro Jahr, Tendenz steigend, finden aber nur sieben Milliarden Barrel pro Jahr, Tendenz fallend. Und denken Sie an Mexiko. Anfang 2005 hat die Regierung bekannt gegeben, dass das Cantarell-Feld, das größte Ölfeld des Landes und das zweitgrößte weltweit, was die Produktionsmenge anbelangt, nicht mehr so viel liefert wie erwartet. Man muss jetzt Stickstoff injizieren, um die Produktion wieder auf das gewünschte Level zu kitzeln …«
»Das ist ein ganz normaler technischer Vorgang. Der Lagerstättendruck nimmt bei jedem Feld im Lauf der Zeit ab. Mit solchen Maßnahmen erhöht man ihn wieder, ganz einfach.«
Der Bärtige wirkte einen Moment lang, als wolle er dem Mann im teuren Anzug an den Hals springen. »Sie wissen ganz genau, dass man mit solchen Maßnahmen die Produktion zwar noch eine Weile auf einem gleich bleibenden Level halten kann, aber wenn diese dann irgendwann nicht mehr greifen – und wann das ist, das wissen Sie nicht –, dann ist es Knall auf Fall zu Ende. Anstatt, wie es der normale Verlauf wäre, allmählich und vor allem berechenbar abzuebben.«
»Sie machen den Fehler aller Untergangspropheten, nämlich den, immer nur die bisherigen Technologien im Auge zu haben. Aber es werden ständig neue Verfahren entwickelt, der technische Fortschritt ermöglicht –«
»Spielen Sie jetzt etwa auf die Block-Methode an?«
»Sie mag eine schlechte Presse haben, aber sie hat aufsehenerregende Resultate geliefert.«
»Die den Schönheitsfehler haben, dass niemand weiß, wie sie erzielt wurden …«
Der Moderator, der dem Disput zeitweise mit etwas glasigem Blick gefolgt war, hob seine Stichwortzettel wie ein Schiedsrichter die Gelbe Karte. »Ich würde gern auf den Anlass dieser Sendung zurückkommen, das Unglück im Hafen Ras Tanura. Was bedeutet es?«
Der Experte, der eingangs das Wort ergriffen hatte, erklärte ohne zu zögern: »Dass die Menge des zur Verfügung stehenden Öls so lange um fünf Prozent reduziert bleibt, bis die Hafenanlagen repariert sind. Weiter nichts.«
»Eine Reduktion der Ölversorgung um fünf Prozent«, warf der Bärtige mit funkelnden Augen ein, »hat 1973 die erste Ölkrise ausgelöst.«
Der erste Experte winkte ab. »Ja, aber seither hat man dazugelernt und strategische Ölreserven angelegt. Genau die müssen die Regierungen nun freigeben, um die Zeit der Reparaturen zu überbrücken.«
»Also kein Grund zur Sorge?«, fragte der Moderator.
»Nein. Zumal die Lager in Rotterdam, dem größten europäischen Hafen, um diese Jahreszeit sowieso immer randvoll sind, weil der Winter vor der Tür steht und der Bedarf an Heizöl steigt.«
»Müssen wir mit Preiserhöhungen rechnen?«
Der Experte nickte grimmig. »Da bin ich mir sicher. Die Konzerne werden wie immer die Situation ausnützen. Aber objektiv gerechtfertigt sind Erhöhungen nicht, oder wenn, dann nur in geringem Maße.«
Der Moderator drehte sich mit einem versöhnlichen Lächeln zur Kamera und sagte: »Damit, liebe Zuschauer, ist unsere Sendezeit zu Ende. Als Fazit könnte im Moment vielleicht gelten: ruhig Blut.« Er sah auf seinen Zettel. »Wir schalten jetzt um zu unseren Reportern Bärbel Müller und Thorsten Rebus, die von der Eröffnung der Automobilausstellung in Peking berichten.« Er hielt inne, als ihm klar wurde, was er da sagte, und meinte dann: »Na, das passt ja. Viel Vergnügen.«
Der Abspann lief, untermalt von Harfenklängen. Im Hintergrund sah man die Männer im Studio noch einträchtig miteinander lachen, ehe das Bild wechselte.
Die wichtigste Meldung des Tages wurde in ihrer Bedeutung verkannt und erschien deshalb in den meisten Zeitungen gar nicht. Wo sie erschien, schaffte sie es nur in eine
Weitere Kostenlose Bücher