Ausgebrannt - Eschbach, A: Ausgebrannt - Ausgebrannt
ihm eine schmale, zart gebaute Frau mit wallenden kastanienbraunen Locken, die eine Vehemenz an den Tag legte, die man ihr nicht zugetraut hätte. Sie war die Geschäftsführerin eines Vereins, der schon seit Jahren das Thema Peak Oil auf seiner Tagesordnung gehabt hatte. »Wobei der Vergleich mit Y2K hinkt. Denn selbst im schlimmsten Fall – also wenn tatsächlich alle Computer ausgefallen wären – hätte uns das höchstens bis ins Jahr 1965 zurückgeworfen. Ohne Öl aber, mein Herr, wird die Menschheit geradewegs zurück ins 18 . Jahrhundert katapultiert! Mit einer viel zu großen Weltbevölkerung und mit dem Unterschied, dass es damals noch Öl zu entdecken gab, heute dagegen nicht mehr. Das, was wir jetzt erleben, ist die befürchtete harte Landung . Das ist ein Schlag, von dem wir uns nicht mehr erholen werden.«
Mondgesicht lächelte unbeirrbar. »Meine Teure, Sie übertreiben, wie immer. Es sind gerade mal, na, sechs Prozent oder so, deren Verlust wir verschmerzen müssen. Wenn Sie hundert Euro im Geldbeutel haben und sechs davon verlieren, dann geraten Sie doch auch nicht gleich in Panik, oder?«
Die Frau faltete mit einem ergebenen Gesichtsausdruck die Hände. »Es ist immer dasselbe. Die Titanic sinkt, aber das Orchester spielt weiter«, erklärte sie. »Nur dass es diesmal überhaupt keine Rettungsboote gibt.«
Die Deutsche Bahn gab Fahrgastzahlen in Rekordhöhe bekannt.
Die Deutsche Post kündigte Tariferhöhungen an. Ein Sprecher stellte zudem die tägliche Auslieferung in ländlichen Gebieten in Frage; angesichts steigender Transportkosten könne man sich das in absehbarer Zeit nicht mehr leisten.
Der Preis für einen Liter Superbenzin erreichte drei Euro.
Kapitel 37
F ranzösische Fischer waren die Ersten, die gegen die hohen Benzinpreise protestierten. »Wogegen protestieren sie als Nächstes?«, kommentierte, so wurde kolportiert, ein hochrangiges Mitglied der Regierung. »Gegen das schlechte Wetter? Gegen die Schwerkraft?«
Doch die Proteste weiteten sich rasch aus: Selbstständige Kleinspediteure, denen die steigenden Benzinkosten den ohnehin mageren Gewinn wegfraßen, schlossen sich an, kurz darauf Berufspendler. Als der Dezember anbrach, gingen auch in den meisten anderen Staaten Europas die Menschen auf die Straße. Ihre Forderung war, die Mineralölsteuer abzuschaffen.
Bald fanden sich Politiker quer durch alle Parteien, die sich diese Forderungen zu eigen machten. Wobei man die Mineralölsteuer ja nicht gleich abzuschaffen brauche. Aber man könne und müsse sie wenigstens aussetzen, solange die gegenwärtige Krise dauere.
Es gab Volkswirte, die davor warnten und voraussagten, das werde nichts bringen, doch gingen diese Stimmen unter. Die Regierungen beugten sich dem Druck und verabschiedeten entsprechende Regelungen. Da die Mineralölsteuer fast überall mehr als einen Euro pro Liter Benzin ausgemacht hatte, sanken die Preise an den Tankstellen umgehend um diesen Betrag, mancherorts sogar noch weiter: Bei einigen Tankstellen stand wieder eine Eins vorne, ein optisches Signal, das ihnen mehr Zulauf verschaffte, als sie bewältigen konnten.
Überall stiegen die Preise, prozentual am stärksten in den Supermärkten. Das Weihnachtsgeschäft, orakelten die Händler, würde dieses Jahr so schlecht verlaufen wie lange nicht mehr.
»Man schimpft in diesen Tagen viel auf die Börsen«, sagte die dunkelhaarige Moderatorin, die ihre Gäste in ruhiger, konzentrierter Zweisamkeit zu interviewen pflegte und sich dafür jeweils eine ganze Stunde Zeit nahm. »Spielcasinos der Weltwirtschaft seien das, heißt es, der Neoliberalismus sei an allem schuld und so weiter. Was stimmt daran? Sind die Rohstoffbörsen verantwortlich für die Preise, die wir im Augenblick an der Tankstelle zahlen?«
Ihr Gast war ein Ökonomieprofessor, Leiter eines angesehenen Wirtschaftsforschungsinstituts. Er trug einen gepflegten Bart, und seine himmelblauen Augen hatten einen spöttischen Glanz, wenn er sprach. »Das stimmt, das sind sie schon seit Jahren. Die Preise für Rohöl werden an drei Börsen fixiert, wie man das nennt, nämlich an der Nymex in New York, der SGX in Singapur und an der IPE , der International Petroleum Exchange in London.«
»Ein Abgeordneter hat vorgeschlagen, die Rohstoffbörsen staatlicher Kontrolle zu unterwerfen und die Preise für Rohstoffe per Verordnung festzulegen.«
Der Professor lächelte nachsichtig. »Dieser Abgeordnete ist offensichtlich mit völligem Unverständnis
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