Ausgebrannt - Eschbach, A: Ausgebrannt - Ausgebrannt
zugleich offizieller Leiter der Anatolischen Eisenbahngesellschaft war.
Doch so schnell kam es nicht zu der Audienz. Nach ihrer Ankunft in Konstantinopel saßen sie Tag um Tag in ihrem Hotel und warteten, dass der Sultan endlich geruhen würde, sie zu empfangen. Statt eines Boten aus dem Palast kam aber jeden Tag nur der deutsche Botschafter, ein schmallippiger, steifer Mann in einem steifen Anzug, den zu tragen bei den herrschenden Temperaturen eine Qual sein musste, und versuchte, sie bei Laune zu halten.
Zu allem Überfluss gab es keinen Tropfen Alkohol, nicht einmal ein Bier. Sie tranken türkischen Kaffee, solange ihre Mägen es aushielten. Eine der Wände der Hotelbar war mit einer großen, wenn auch nicht ganz maßstabsgetreuen Karte bemalt worden, die Europa, den Nahen und Mittleren Osten und ein Stück von Nordafrika darstellte, mit Konstantinopel im Zentrum, und sie zerstreuten sich meist damit, anhand dieser Zeichnung über das Bahnprojekt zu diskutieren. Wenn sie Glück hatten, gab es eine deutsche Zeitung, zwar immer etliche Wochen alt, doch sie lasen sie trotzdem jedes Mal von der ersten bis zur letzten Seite. So erfuhren sie, dass König Alexander von Serbien und seine Familie von aufständischen Offizieren ermordet worden und die Sozialdemokraten aus den Reichstagswahlen in Deutschland als zweitstärkste Fraktion hervorgegangen waren, und auch, dass der Gesundheitszustand des greisen Papstes Leo XIII . sich zusehends verschlechterte. Pfeffer entdeckte mit sichtlichem Triumph eine Meldung, wonach ein amerikanischer Industrieller namens Henry Ford ein Automobil auf den Markt zu bringen gedachte, das weniger als eintausend Dollar kosten sollte.
»Das wird sich trotzdem nie durchsetzen«, prophezeite Friedrich misslaunig. »Was denkt dieser Ford sich? Dass jeder sein eigener Chauffeur und Maschinist sein will? Wo er sich einfach nur in die Eisenbahn zu setzen bräuchte?«
»Mit einem Automobil kann man aber fahren, wann man will und wohin man will«, wandte Pfeffer ein. »Ich könnte mir schon vorstellen, dass viele Leute das schätzen würden.«
»Unsinn. Haben Sie eine Vorstellung, wie viele neue Straßen man dafür bauen müsste? Unvorstellbar. Allein die Kosten!«
Das schien Pfeffer zu überzeugen; jedenfalls gab er Ruhe.
Ein paar Tage darauf betrat ein Mann Mitte dreißig die Hotelbar, mit einem glatten, runden Gesicht, in dem die ungewöhnlich buschigen Augenbrauen auffielen. Er trug einen eleganten, beinahe dandyhaften Anzug, wie er in London der letzte Schrei sein mochte, und erkundigte sich nach den Herren aus Deutschland.
»Mein Name ist Calouste Sarkis Gulbenkian«, erklärte er dann mit angenehmer Verbindlichkeit und schüttelte jedem von ihnen die Hand. »Da ich die Gelegenheit hatte, einige Erfahrungen im Ölgeschäft zu machen, geruhte seine Majestät der Sultan, mich mit dieser Angelegenheit zu beauftragen.«
»Sie sind also Osmane?«, fragte Hans Pfeffer, nach Westermanns Ansicht völlig überflüssigerweise.
Doch Gulbenkian deutete eine Verbeugung an und sagte ernst: »Von Geburt her bin ich Armenier, in der Tat; doch seit letztem Jahr habe ich die Ehre, Untertan Seiner Majestät König Edwards VII . zu sein.«
»Wir sind herbestellt worden, weil der Sultan mit uns reden wollte«, erklärte Friedrich Westermann misstrauisch. »Zumindest hat man uns das gekabelt. Aus Berlin.«
Gulbenkian machte eine entschuldigende Geste. »Der Sultan hat dringendere Probleme, nehme ich an.« Er deutete auf die Sessel aus geflochtenem Holz. »Wollen wir uns nicht setzen? Wir haben, glaube ich, vielerlei zu besprechen.«
»Was für Probleme hat er denn, der Sultan?«, fragte Pfeffer unverblümt, als sie saßen und die nächste Runde Kaffee auf dem Tisch stand.
»Der Aufstand in Mazedonien beispielsweise«, erklärte ihr Besucher. »Auch die wahhabitische Räuberbande, die letztes Jahr Riyadh erobert hat, gibt keine Ruhe. Es sieht aus, als habe dieser Abdulaziz Ibn Saud vor, die Rashid-Dynastie, die treuen Verbündeten der Osmanenherrscher auf der Arabischen Halbinsel, aus dem Land zu jagen. Schwer zu sagen, wohin das noch führen wird.«
Hans Pfeffer strich sich über den Schnurrbart. »Was, bitte, heißt ›wahhabitisch‹?«
»So etwas wie die Puritaner des Islam. Hundertfünfzigprozentige, Sie verstehen? Immerhin, dort unten liegen Mekka und Medina, die wichtigsten Heiligtümer der Muselmanen. So etwas führt leicht zu mancherlei Gefühlsaufwallungen.«
»Sie sind demnach kein
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