Ausgebrannt - Eschbach, A: Ausgebrannt - Ausgebrannt
den Vereinigten Staaten, wohin der Kölner, wie er schrieb, bereits im Vorjahr ausgewandert war. Ich glaube, ich werde Recht behalten, was die Automobile anbelangt!, schrieb er dazu.
Während des Krieges gingen die Arbeiten weiter. Es wurde gemunkelt, die Angelegenheit mit den Zwangsarbeitern werde nun noch schlimmer gehandhabt: Die Armenier würden aus ihren angestammten Siedlungsgebieten in Anatolien vertrieben und beim Bau der Bahnstrecke zu Tode geschunden. Zugleich gab es Angriffe auf die Bahn. Ein Agent des englischen Geheimdienstes namens T.E. Lawrence, den man »Lawrence von Arabien« nannte, führte die arabischen Stämme in ihrem Aufstand gegen das Osmanische Reich. Sie griffen eine Teilstrecke an, die »Hedschasbahn«, die für die Wallfahrt gläubiger Muslime auf dem Weg nach Mekka gebaut worden war, und zerstörten sie zu großen Teilen.
Nach dem Krieg wurde das Osmanische Reich zerschlagen, und Westermann hörte nun öfter wieder den Namen Gulbenkian. Man nannte ihn inzwischen »Mister Five Percent«. Er war ein wichtiger Mann im Ölgeschäft und sagenhaft reich geworden, ein Milliardär gar, hieß es.
Schon in den dreißiger Jahren war es möglich, mit dem so genannten »Orient-Express« zu fahren; allerdings musste man zur Überwindung der noch nicht fertig gestellten Abschnitte teilweise in Busse umsteigen. Zu den berühmtesten Passagieren, die diese Route befuhren, gehörte die englische Kriminalschriftstellerin Agatha Christie, die ihre Erlebnisse in einem Kriminalroman verarbeitete, sowie just jener Calouste Sarkis Gulbenkian, der vorhergesagt hatte, diese Strecke würde niemals gebaut werden. Er lernte dabei seine Frau kennen, eine Prinzessin, deren Asche er nach ihrem Tod auf einer weiteren Fahrt mit demselben Zug aus dem Fenster verstreute.
Im Jahre 1940 war schließlich die gesamte Strecke von Konstantinopel, das nun Istanbul hieß, bis Bagdad fertig gestellt, inzwischen jedoch wirtschaftlich oder militärisch längst nicht mehr von Bedeutung. Sie verfiel in der Folge weitgehend wieder, ihre Überreste sind heute eher von musealem Interesse als von verkehrstechnischem Wert.
Friedrich Westermann befuhr die Strecke, die er festgelegt hatte, kein einziges Mal. Er starb, siebzigjährig, im Januar 1943 an einer Lungenentzündung, durch einen merkwürdigen Zufall am selben Tag wie sein Sohn Erich, Hauptmann der 17 . Armee, deren Auftrag es gewesen war, die kaukasischen Ölfelder von Baku, Grosny und Maikop einzunehmen.
Gegenwart
Die Krankenschwester maß gerade Markus’ Blutdruck, als der Anwalt hereinkam. Er nickte ihnen stumm zu, setzte sich auf einen Stuhl, der unter seiner kolossalen Erscheinung wie ein Möbelstück aus dem Kindergarten wirkte, und wartete, die Aktentasche auf den Knien. Erst als die Schwester das Zimmer verlassen hatte, räusperte er sich und sagte: »Guten Tag, Markus.«
Markus betrachtete den Mann mit gemischten Gefühlen. Sein Name war Dr. Herbert Bär, und er war seit undenklichen Zeiten der Familienanwalt der Westermanns. Früher hatte das vor allem geheißen, Vater in dessen zahllosen Prozessen zu vertreten, und Markus erinnerte sich an viele lange, heftige abendliche Diskussionen der beiden im Wohnzimmer, die er von seinem Bett aus als beunruhigendes, auf- und abschwellendes Gemurmel wahrgenommen hatte. Es kam ihm vor, als sei der Anzug, den der Anwalt trug, immer noch derselbe wie damals.
»Ihr Bruder hat mich angerufen und gebeten, mich um Sie zu kümmern.« Er ließ bedächtig die Verschlüsse seiner Aktentasche aufschnappen, erst den einen, dann den anderen.
»Verstehe«, sagte Markus.
»Er hat Ihnen sicher schon gesagt, dass schwerwiegende Anschuldigungen gegen Sie vorliegen?« Die breiten Hände klappten die Tasche auf, holten eine Akte heraus. Eine bedenklich dicke Akte.
»Ja.«
»Gut. Ich denke, es ist das Beste, wenn ich Ihnen zunächst den Sachverhalt erläutere.«
Er war nicht mehr der Jüngste. Markus hatte nicht erwartet, dass er noch praktizierte; er musste schon fast siebzig sein.
»Wir haben es mit Beschuldigungen aus zwei Richtungen zu tun. Zum einen ist da die Klage Ihrer Firma – Ihrer ehemaligen Firma, muss ich sagen, um genau zu sein, denn man hat Ihnen inzwischen fristlos gekündigt. Man wirft Ihnen dort die Veruntreuung von Firmengeldern in Höhe von dreihunderttausend Dollar vor, mit anderen Worten also den berühmten ›Griff in die Kasse‹; ferner den Diebstahl und Verrat von Firmengeheimnissen, deren Wert beziffert wird auf,
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