Ausgetanzt
Eiskastens. Berenike legte eine Beatles-CD ein. Yesterday, all
my troubles seemed so far away … gestern war tatsächlich alles anders gewesen.
Als jemand an die Glastür des Salons klopfte, zuckten alle
zusammen. Berenike öffnete. Sterne funkelten, erzählten von fernen Träumen und
unbekannten Königreichen. »Ragnhild! Dich hab ich schon lang nicht gesehen.«
»Du weißt, ich hab viel zu tun. Der Stress macht mich noch
wahnsinnig.« Ragnhild hatte letztes Jahr eine Pension übernommen und sie nach
Feng Shui-Prinzipien eingerichtet. Selbst das Frühstück bereitete sie nach der
traditionellen chinesischen Medizin zu. »Gerade muss ich mich mit einem Gast
herumschlagen, der kein Acconto zahlen will, dabei hat er schon viele Nächte
hier geschlafen. Er sagt, er zahlt jeweils einmal im Monat. Dabei hab ich’s als
Nicht-Ausseerin eh nicht leicht.«
Berenike zuckte mit den Achseln. Sie hatte oft mit Ragnhild
reden wollen, jetzt war sie es, die keinen Kopf für die Trouble der Norwegerin
hatte.
Mit hängenden Schultern stand Ragnhild in der Tür. »Was ist
bei dir los? Ich hab Licht gesehen und mich gewundert, es ist doch schon spät.«
Sie stützte sich an der Wand ab, den Rücken leicht gebeugt. Ihr Blick fiel auf
die anderen Frauen. »Was macht ihr für Gesichter?«
Berenike schilderte ihr die Vorfälle, kurz, knapp, sie war
müde, so müde. »Und jetzt ist Selma wie vom Erdboden verschluckt.«
»Um Himmels willen! Selma Stauder vom Ischler Frauenhaus?«
»Ja, du kennst sie?«
»Nun«, Ragnhild beugte sich näher zu ihr. »Darf ich
reinkommen?«
»Natürlich.«
»Ich spreche ungern davon. Als es mit meinem Ex so schlimm
war, hab ich mich kurz ins Frauenhaus geflüchtet. Wo hätte ich sonst hingehen
sollen? Meine Familie ist in Oslo und hier kannte ich damals kaum wen.«
Ragnhilds Männerwahl! Endlich ein anderes Thema! Um sich
abzulenken, fragte Berenike: »Was ist mit deinem anderen Verflossenen? Weiß er
schon, ob er schwul ist?«
»Geh, woher denn. Der wird das nie rausfinden, ein super
Schmäh, um sich nicht festzulegen. Soll er gleich sagen, dass er polygam leben
will. Aber dazu ist er zu feig.«
Berenike sperrte die Tür hinter Ragnhild ab und drückte ihr
eine Tasse in die Hand. Sie stellte frisches Teewasser auf und wählte einen
Bergtee aus Kreta. ›All you need is love‹, schmetterte John Lennon.
»Wie lange ist Selma schon verschwunden?« Ragnhild lehnte
sich an einen Barhocker und sank in sich zusammen.
Berenike sah auf die Uhr, während sie die im Ganzen
getrockneten Teepflanzen zerbrach und sie in die Kanne gab. Fast elf Uhr. »Seit
dem frühen Abend.« Sie nahm einen Fetzen und wischte den Tisch ab, um den die
Frauen saßen. Alltagsdinge, tägliche Handgriffe, sie halfen, sich aufrecht zu
halten.
»Die Polizei sucht seit Stunden. Sie wollen keine weiteren
Fehler riskieren. Es ist schon genug schiefgegangen. Immerhin etwas.« Berenike
wusste von Jonas, dass Hunderte Beamte das Gebiet zwischen Ischl und Hallstatt
absuchten, darunter auch Hundeführer. Sie durchkämmten die Wälder; sobald es
hell wurde, wollten sie Taucher in die Salzkammergutseen schicken. Selbst die
Bundesländergrenzen wurden überschritten, Polizeikommandos aus Oberösterreich,
Salzburg und der Steiermark bündelten ihre Kräfte.
Ragnhild zog sich einen Sessel zum Tisch und setzte sich
zwischen Ellen und Valerie, während John Lennon weiter sein ›Love is all you
need‹ jubelte.
»Kannst du den Mist abdrehen, bitte?«, brauste Gerhild auf.
»Unter dem Deckmantel der Liebe sind schon zu viele Verbrechen geschehen.«
»Da hast du recht.«
Die Stille ergriff Besitz von ihnen, vom Raum. Sie warteten,
dass etwas geschah, dass ein Handy läutete. Irgendjemand roch nach einem
Parfum, das zu blumig und anbiedernd war. Vielleicht Ragnhild.
»Was ist mit Denise?«, wandte sich Berenike an Valerie.
»Offenbar abgereist«, Valerie hielt das Handy hoch. »Die
Chefin hat mich eben zurückgerufen, sie sagt, sie kann kein Gästeblatt finden.«
»Sehr merkwürdig.«
Es war total irrwitzig. Plötzlich hatten sie es mit einem
Phantom zu tun.
Dann endlich ein Anruf von Jonas: »Leider noch nichts Neues,
Berenike.«
»Ich komme und helfe suchen.«
»Nein, Berenike, das ist keine gute Idee.«
»Ich bin gleich unterwegs. Du wirst mich nicht aufhalten.«
»Es kann gefährlich werden, Nike!«
»Trotzdem. Schließlich bin ich mit den Frauen bekannt, und
ich habe sowieso keine Ruhe hier.«
»Also schön. Ich warte bei der
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