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Ausnahmezustand

Ausnahmezustand

Titel: Ausnahmezustand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Navid Kermani
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sind unsere Heiligen, die die Armeen gerufen haben.
    – Also finden Sie es gut, daß Amerika die Taliban bekämpft? frage ich.
    – Die Taliban sind doch ein Geschöpf Amerikas! führt der Malang mir das Denken in Paradoxien vor, das dem Sufismus eigen ist.
Ruhe, Sauberkeit und Ordnung
    In einem staubigen Außenbezirk von Lahore gelegen, an einer sechsspurigen Ausfallstraße, weist von außen nichts auf das Hauptquartier der
Jamaat Islami
oder «Islamischen Gemeinschaft» hin, der bedeutendsten unter den Parteien Pakistans, die den Islamismus vertreten. Öffnet sich die Schranke, fährt man in eine Siedlung hinein, die wohl noch zur Kolonialzeit oder jedenfalls nicht viel später gebaut worden ist, die Häuser aus rotem Ziegel, die Bürgersteige gesäumt von hohen Bäumen. Es gibt Schulen, Freizeiteinrichtungen, ein Gästehaus, weder traditionalistisch noch im saudischen Stil protzend modern, eher solide und mittelständisch. Auf andere Weise als die Schreine der Mystiker bildet auch die «Islamische Gemeinschaft» eine Gegenwelt zum Lärm und zum Durcheinander, die das Straßenbild in Pakistan gewöhnlich prägen, zu den Gegensätzen der Farben, Ethnien und sozialen Klassen. Als wolle sie das Modell eines zukünftigen Pakistans vorführen, herrschen Ruhe, Sauberkeit und Ordnung. Alle Männer tragen Bart, die weißen Kappen auf den Köpfen und die knielangen Gewänder wirkenfast uniform, die Frauen tragen selbstverständlich Kopftuch. Niemand scheint hier auf dem Gelände zu trödeln, niemand sticht äußerlich hervor.
    Weil ich früher als verabredet eintreffe, setzen sich nacheinander drei Mitarbeiter zu mir an den Besprechungstisch im Großraumbüro der Internationalen Abteilung, um mir beim Tee Gesellschaft zu leisten, bis ihr Vorgesetzter mich empfangen kann, Abdulghaffur Aziz. Zunächst vertreibt mir ein junger Mann die Zeit, der gerade von einem Besuch in Teheran zurückgekehrt ist. Die Islamische Republik gefällt ihm natürlich, ohne daß er ihr theokratisches System auf Pakistan übertragen sehen will. Als zweiter wendet sich ein schon älterer Herr auf Deutsch an mich, der vor vierzig Jahren durch Europa gereist ist. Er war jung, sagt er, neugierig auf die Welt, wollte eigentlich gar nicht so lang bleiben, aber dann gefiel ihm Deutschland so gut, besonders die freundlichen Menschen, aber auch die Gerechtigkeit und Effizienz, daß er die Sprache lernen wollte. Der dritte, der sich meiner annimmt, lehrt im Hauptberuf an einer Universität.
    – Welches Fach? frage ich.
    – Leider Englisch, antwortet er ohne Hinweis darauf, das Bedauern ironisch gemeint zu haben.
    Ich frage den Professor nach der Vision seiner Partei für Pakistan. Ein gerechtes, islamisches, progressives, entwickeltes Land, in dem der Staat seinen Bürgern alle grundlegenden sozialen Dienste anbietet. Der auf der Scharia beruht? Selbstverständlich. Was, wenn jemand die islamischen Gebote nicht einhalten will? Dann wird er nicht gezwungen. Und die religiösen Minderheiten? Regeln ihre religiösen Angelegenheiten selbst. Eine Demokratie? Nein, eine Schura. Was ist der Unterschied? In einer Demokratie herrschen 51 Prozent über 49 Prozent der Menschen, in der Schura strebt man den Konsens an. Und wenn sich die Schura nicht einigen kann? Dann entscheidet der Führer. Wer bestimmt den Führer? Der wird natürlich gewählt. Und was ist, wenn er nur von 51 Prozent der Menschen gewählt wird? Ich glaube, Herr Aziz ist gleich da.
    Allein, Herr Aziz ist noch nicht da, erst muß noch gebetet werden.Die Frage, ob ich im Büro warte oder mit zur Moschee gehe, ist so beiläufig formuliert wie nur irgend möglich.
    Abdulghaffur Aziz, großgewachsen und breitschultrig wie ein Hammerwerfer, hat unter der Glasplatte seines Konferenztisches eine große Landkarte Amerikas liegen.
    – Wieso ausgerechnet Amerika? frage ich nach dem Gebet.
    Ach, das habe nichts zu bedeuten, antwortet Herr Aziz und zeigt auf die Wand, an der eine Weltkarte hängt. Bevor wir uns setzen, erkundigt er sich nach meinem Fahrer.
    – Der Fahrer? frage ich verblüfft. Während meiner gesamten Reise ist es das erste Mal, daß ein Gastgeber sich um meinen Fahrer sorgt.
    – Er muß doch nicht im Auto warten, sagt Herr Aziz und geht hinaus, um ihn rufen zu lassen.
    Wir kommen gut miteinander aus, Herr Aziz und ich, er hat zwar einen prüfenden und sehr ernsten Blick, aber zugleich Sinn für Ironie, und es braucht nicht viel, damit er mild in seinen Bart lächelt. Wäre er ein

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