Ausradiert: Thriller (German Edition)
Warum dieses Widerstreben, mit Lara Deems zu beginnen? Nick wusste es. Er begann zu erkennen, wohin diese Sache führen konnte.
»Alibis sind die beste Verteidigung«, sagte Nick. »Sie waren zum Zeitpunkt des Mordes woanders. Im Fall von Lara Deems, wo war das?«
Langes Schweigen. Nick roch Reasoner, ahnte, wie die Zunge gegen seine Zähne schnellte, versuchte, nach draußen zu gelangen. »Ich müsste zurückdenken«, sagte er.
»Denken Sie zurück.«
Reasoner überlegte. Seine Augen machten wieder dieses Pulsierding; diesmal war Nick sicher. »Die Nacht, bevor Sie mich verhaftet haben?«, fragte Reasoner.
»Richtig.«
»Ich war zu Hause.«
Nick lehnte sich ein wenig zurück. »Was haben Sie gemacht?«
»Was ich in meiner Freizeit immer gemacht habe«, antwortete Reasoner.
»Wie zum Beispiel?«
»Lesen.«
Nick hob Reasoners Buch auf, drehte es um. Rückkehr nach Shan’bu. Band neun der Saga: Schlacht der drei Universen. Reasoners Arm zuckte kurz, als würde er den Drang bekämpfen, ihm das Buch wegzureißen.
»Damals habe ich etwas über Kunsttheorie gelesen.«
»Waren Sie allein?«, fragte Nick.
Pulsieren.
»Oder kann jemand Ihre Geschichte bestätigen?«
»Ich war allein«, erwiderte Reasoner.
»Sind Sie sicher?«, beharrte Nick. »Weil das nichts nützen wird. Versuchen Sie sich zu erinnern.«
»Mit meinem Gedächtnis ist alles in Ordnung«, sagte Reasoner. »Ich kann Ihnen sogar erzählen, was ich an jenem Abend gelesen habe.«
»Was?«, fragte Nick.
Ein winziger rosa Fleck erschien auf Reasoners Wange. »Berensons Essay über Donatellos David «, sagte er.
Nick wusste nicht, was das war. Er fragte: »Im Keller?«
»Keller?« Der rosa Fleck wurde ein wenig größer.
»Gelesen.«
»Ich habe in meinem Wohnzimmer gelesen.«
»Was lief im Keller?«, fragte Nick.
»Die Waschmaschine.«
»Haben Sie in jener Nacht Wäsche gewaschen?«
»Könnte sein.«
»Allein?«, fragte Nick.
Das Pulsieren der Augen, der rosa Fleck, die spitze Zunge: Sie waren jetzt sämtlich gegenwärtig, als würde ein innerer Reasoner darum kämpfen, sich zu befreien.
»Ich habe allein gewohnt«, sagte Reasoner.
»Aber wie ist es mit Gästen?«, sagte Nick. »Hatten Sie einen Gast unten im Keller, der Ihre Geschichte bestätigen könnte?«
»Nein«, antwortete Reasoner. Ihm wurde bewusst, dass er laut gesprochen hatte, er warf einen nervösen Blick auf den Wärter, senkte seine Stimme: »Nein. Kein Gast.«
»Vielleicht ist Gast das falsche Wort«, meinte Nick.
Reasoner antwortete nicht. Der innere Mann gewann an Boden.
»Zu distanziert«, sagte Nick. »Zu kühl. Immerhin nannte er Sie Onkel Jerry. Wie haben Sie ihn genannt? Einfach Rui, oder gaben Sie ihm einen Kosenamen?«
Jetzt war Reasoners Gesicht vollständig rosa angelaufen, und seine kleinen Hände waren geballt.
»Einen Kosenamen also«, sagte Nick.
Und plötzlich hatte er einen Zugang zu dem Mann, durchschaute ihn, wie er es nie zuvor gekonnt hatte – auf eine Weise, die Petrov versagt war –, und kannte den Namen, wusste, was ihn reizen würde. »Vielleicht Ritze«, setzte er hinzu.
Bestätigung in diesen pulsierenden Augen.
»Ja«, sagte Nick. »Ritze war der Kosename, den Sie dem Jungen ins Ohr flüsterten, wenn Sie ihn in den Keller brachten.«
Reasoners Mund öffnete sich, enthüllte die spitze, farblose Zunge. »Sie sind ein Lügner«, sagte er.
»Nennen Sie mich nicht so, Jerry«, sagte Nick. »Ich versuche, Ihnen zu helfen. Sie haben ein felsenfestes Alibi für den Mord an Lara Deems. Sie sind in jener Nacht zu Hause gewesen und haben den kleinen Rui Estrella gefickt. Jetzt müssen wir nur noch dafür sorgen, dass es bekannt wird.«
Reasoner, mittlerweile leuchtend rot, warf einen kurzen Blick auf den Wärter im Flur, legte einen Finger auf die Lippen. »Schsch«, sagte er. »Schsch. Das ist eine Lüge. So etwas würde ich niemals tun.«
»Aber irgendwie ist es trotzdem passiert«, erwiderte Nick. »So ist das nun mal bei Kinderschändern.«
Reasoner langte über den Tisch, umklammerte Nicks Arm. »Sprechen Sie nicht so laut«, sagte er. »Es ist nicht wahr.«
Nick zog seinen Arm weg, seinen rechten Arm, deshalb gelang es ihm nicht so mühelos, wie er gern gewollt hätte. Er redete in normalem Plauderton: »Sie wissen, dass es wahr ist, Jerry.«
Reasoner beugte sich weiter vor, drängend, sein Gesicht berührte beinah Nicks. »Nein, nein, nein«, protestierte er, so leise, dass Nick ihn kaum hören konnte. »Ich habe ihn nicht
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