Australien 01 - Wo der Wind singt
augenzwinkernd.
»Tschüs, Pick-Nick«, sagte Nell und winkte ihm zu.
Kate tat das Herz weh, als sie zusah, wie Nells Vater auf dem Highway davonfuhr, ohne erfahren zu haben, dass das kleine blonde Mädchen seine Tochter war.
Nachdem Kate die Hunde gefüttert und Matilda mit Heu versorgt hatte, nahm sie Nell bei der Hand und ging mit ihr die holperige Zufahrt entlang zum Gartentor.
»Komm, lass uns jetzt was Leckeres essen. Du hast mir heute so gut geholfen.«
»Können wir nicht zuerst in den Garten gehen, Mami?«, fragte Nell.
»Aber wir sind doch schon im Garten.«
»Nein. Ich meine den anderen Garten. Den ganz besonderen Garten. «
Kate sah Nell fragend an. Dann wurde ihr bewusst, dass Nell von Laneys Gemüsegarten sprach. Früher, wenn Nell sich wieder einmal geweigert hatte, ihr Gemüse zu essen, hatte Kate ihr immer von Laneys altem Garten erzählt. Von Kürbissen, so groß wie Autos, und Tomaten, rund wie Wasserbälle. Von den Frauen von Bronty, die allesamt davon überzeugt gewesen waren, dass alles, was dort wuchs, die reine Magie war. Kate hatte Nell die Frauen aus einer anderen Zeit beschrieben, die in langen Kleidern, mit Handschuhen und breitkrempigen Strohhüten den Garten bestellten. Sie hatte damals das Gefühl, als hätte Nell diese Geschichten einfach ignoriert, daher war sie jetzt mehr als überrascht, als ihre Tochter sie darum bat, den Garten sehen zu dürfen.
Seit sie nach Bronty gekommen waren, hatte Kate es ganz bewusst vermieden, Laneys Garten auch nur zu betreten. Ganz egal, wie neugierig sie auch sein mochte, dieser Ort erinnerte sie genau wie der Dachboden an all die Träume, die gemeinsam mit ihrer Mutter und mit Will gestorben waren.
»Aber es ist doch schon fast dunkel, Süße«, sagte Kate.
»Bittebittebitte!« Nell hüpfte auf und ab und zerrte an Kates Hand. Kate sah in das offene, hoffnungsvolle Gesicht ihrer Tochter.
»Also gut«, ließ sie sich erweichen. »Da entlang.«
Sie gingen am Haus entlang und folgten dann dem Kiesweg, der sich an einer alten Ulme und einer kunstvoll gestalteten Gartenbank vorbeischlängelte. Dort, am Ende des Rasens, spannte sich ein mit Jasmin bewachsener Rankbogen über ein altes, weiß gestrichenes Holztor, von dem die Farbe abblätterte. Kate spürte, dass ihre Mutter und Will eben in diesem Moment bei ihnen waren. Sie berührte jene Stelle am Tor, die auch die beiden berührt hätten. Sie hakte die Drahtschlinge aus und öffnete dann das Tor. Es quietschte laut in den Angeln. Ein Geräusch, so vertraut, dass es sie mit einem Schlag in ihre Kindheit zurückversetzte.
Als sie mit Nell den Garten betrat, spürte Kate plötzlich ein Gefühl der Beklommenheit. Was einst das reinste Paradies war, lag jetzt als öde Wildnis vor ihr. Ein einziges Gestrüpp aus Unkraut und Gemüse, das ins Kraut geschossen und verrottet war, breitete sich vor ihnen aus. Auch der hohe Lattenzaun, der diese magische Welt bis jetzt so gut geschützt hatte, war mehr als nur baufällig. An einer Seite hatte man ihn bereits abgerissen und die Latten zu mehreren großen Haufen aufgestapelt, offensichtlich, um sie demnächst zu verbrennen.
»Das ist aber nicht der Garten«, sagte Nell. In ihrer Stimme schwang unüberhörbar Verwirrung und Enttäuschung mit.
»Das war er aber, mein Liebling. Früher war er das.«
»Aber du hast gesagt, dass es ein Zaubergarten ist.«
Kate nahm Nells Hand fest in die ihre.
»Er kann wieder ein Zaubergarten werden. Das liegt ganz an uns. Wenn der Winter vorbei ist und die Tage wieder länger werden, graben wir ihn um. Wir beide machen das hier zu unserem verzauberten, kleinen Fleckchen Erde. Dann kannst du dir dort drüben in der Ecke sogar ein Versteck bauen.« Sie zeigte auf einen geschützten Winkel, der von großen Pappeln eingerahmt wurde.
Kate stellte sich vor, wie sie im Sommer in einem Meer von grünen Blättern gemeinsam rote Tomaten pflückten und die dicken Stängel von Sommerkürbissen kappten. Sie sah Petersilie, Schnittlauch, Mangold und Rote Bete, die sich an sauberen Kieswegen entlang aneinanderreihten.
Eine Bank unter einer Laube. Nahrung zum Leben. Ein üppiger Garten, um dort die Erinnerungen der Kindheit lebendig werden zu lassen, einer vergangenen und einer gegenwärtigen.
Wenn sie schon nicht das Farmhaus von Bronty zurückfordern konnte, um so die Erinnerung an ihre Mutter und an ihren Bruder am Leben zu erhalten, dann konnten sie und Nell wenigstens diesen Garten als eine Art Huldigung an die beiden
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