Auszeit für Engel: Roman (German Edition)
Füße.
Nach nur wenigen Sekunden hatte ich mich schon fast dazu überredet, einen Badeanzug oder einen Wickelrock oder eine Schirmmütze zu kaufen, als meine Aufmerksamkeit auf einen Dialog gelenkt wurde, der in einer der Cabana-Hütten, die als Umkleidekabinen dienten, vonstatten ging. Der Anzahl der verworfenen Bikinis und der Aufgeregtheit der Verkäuferin nach zu urteilen, hielt sich eine wählerische Kundin darin auf.
»Marla«, rief die mit neuen Modellen beladene Verkäuferin über die Strohtür, »sieht der DKNY nicht einfach fantastisch an Ihnen aus?«
»Fantastisch«, sagte Marlas Stimme. »Aber meine Brust sitzt immer noch zu hoch.«
Zu hoch? Wie auf Kommando hörten wir alle auf zu stöbern und warfen uns über die Ständer hinweg ungläubige Blicke zu. Was meinte sie mit »zu hoch«? Meinte sie »zu groß«?
Wir versammelten uns in der Mitte des Geschäfts – Dad auch –, und Helen ging zu der Cabana-Hütte, um einen Blick hineinzuwerfen. »Zu hoch«, bestätigte sie, als sie zurückkam. »So sehr geliftet, dass ihre Brustwarzen fast an den Schultern sind. Ein Halter-Neck ist ihre einzige Hoffnung.«
»Ach, ehm«, murmelte Dad und hob den Blick von den Füßen. »Ich glaube, ich gehe mal in den Pub und trinke ein Bier und lese die Zeitung.«
»Hier gibt es keine Pubs«, sagte Emily. »Nur Straßencafés und Schnellrestaurants.«
»Such dir ein kleines Café, das ist doch gut«, sagte Mum.
»Es ist Samstagabend, meine Lieben, ich würde gern etwas erleben«, sagte Mum seufzend. »Was würdet ihr empfehlen?«
»Wir könnten in den Bilderberg Room gehen«, schlug Emily zögernd vor, aber ich schüttelte den Kopf. Ich wusste, wohin ich mit Mum gehen wollte. Ich hatte gleich bei meinem ersten (und letzten) Besuch dort gewusst, dass es genau das Richtige für sie war: das Four Seasons, Beverly Hills.
Dad weigerte sich mitzukommen. »Ich habe keine Lust, mich schon wieder stadtfein zu machen. Ich will Sport gucken und dabei Erdnüsse knabbern.«
»Bestens. Dann bleibst du im Hotel, ist uns recht.«
Ich brauchte das Pferdehaarwachs, um mein Haar für das Four Seasons in Form zu bringen; dazu ging ich in Emilys Schlafzimmer, das eine einzige Trümmerlandschaft war.
»Es steht auf dem Nachttisch«, sagte sie.
Doch auf dem Nachttisch türmten sich die Dinge, und als ich den Topf mit dem Wachs herunternahm, rutschte ein Stapel Fotos zu Boden. »Entschuldigung.« Ich sammelte sie auf und sah, dass die Bilder vor ein paar Jahren gemacht worden waren, als Emily zu Besuch in Irland war. Meine Neugier war geweckt – ich gucke mir gern Fotos an –, und ich sah mir die Bilder von Emily und ihren Freunden an, die alle schon ein bisschen angesäuselt waren. Auf einem zwinkert sie dem Fotografen zu, auf einem anderen wirft sie ihm eine Kusshand zu – »Guck dir das an«, sagte ich und hielt ihr das Foto entgegen. »Und wir fanden uns bildhübsch« –, Emily mit Donna, Emily mit Sinead. Eins von mir, auf dem ich eine Flasche Smirnoff Ice schwenke, mit gerötetem Gesicht und glücklichen, sorgenfreien roten Augen, noch eins von mir, nicht ganz so überschwänglich, dann eins von Emily mit einem umwerfend hübschen Mann: gute Gesichtszüge, dunkles Haar, das ihm in die Stirn fällt, ein verschmitztes Lachen für den Fotografen.
»Gott, wer ist das denn?«, fragte ich bewundernd. »Der ist ja süß!«
»Hahaha«, erwiderte Emily darauf.
In dem Moment erkannte ich den Mann – natürlich erkannte ich ihn – und fing an zu zittern. Emily sah mich aufmerksam an. »Hast du ihn wirklich nicht erkannt, oder war das ein Witz?«
»Das war ein Witz«, sagte ich. »Natürlich wusste ich es.«
Es war Garv.
Ich zögerte, das nächste Foto anzusehen, denn ich hatte eine Ahnung, wer drauf sein würde – und ich hatte Recht: Garv und ich, die Köpfe zusammengesteckt, ein glückliches Paar.
Und für den Bruchteil einer Sekunde wusste ich wieder, wie sich das anfühlte.
»Komm«, sagte ich, und mein Puls beruhigte sich wieder. »Mach mir bitte die Haare, ja?«
Mum fand das Four Seasons sehr schön. Sie befühlte die gerafften Vorhänge und sagte respektvoll: »Keine billige Meterware.« Dann bewunderte sie das Sofa. »Was für ein schöner Farbton.« Dann fragte sie ehrfurchtsvoll: »Meinst du, das sind antike Statuen?«
»Ziemlich alt sind sie wohl«, sagte Helen. »Nicht so alt wie du, aber trotzdem, sie haben ein stattliches Alter.«
Als der Kellner kam, bestellten Emily, Helen, Anna und
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