Autobiografie einer Pflaume - Roman
Glas Marmelade schadlos gehalten, das er mit dem Kaffeelöffel leer gegessen hat, und hinterher war ihm übel, und er hat den ganzen Nachmittag den Kranken markiert, obwohl Yvonne ihm eine von ihren Tabletten gegeben hat, und niemand hat ihm geglaubt.
«Soso, diesen großen Tölpel, den ich zum Sohn habe, den magst du wohl?», fragt Antoinette mich ins Ohr.
«So groß ist Victor doch gar nicht», sage ich.
«Nicht Victor, der große Raymond.»
«Ja, das stimmt, aber er ist doch nicht Ihr Sohn.»
«Wieso Baron?»
«Er ist nicht Ihr Sohn!», schreie ich ihr ins Ohr.
«Ach, das macht keinen Unterschied. Meine Tochter habe ich verloren, aber stattdessen habe ich einen Sohn und sogar einen Enkel, also habe ich Glück gehabt.»
«Und wie sieht es dort aus, in deinem Altersruhesitz?»
«Aber nein, ich leide keineswegs an Altersblödsinn, ich bin geistig völlig klar, mein Kind, ich bin nur sehr alt.»
Und sie summt vor sich hin.
«Nicht Altersblödsinn, Altersruhesitz mit U wie Uhu», mache ich mit den Lippen.
«Ach das. Groß und voll mit alten Leuten, die überhaupt nicht komisch sind, mmmmm.»
«Was ist das für ein Lied, das du da summst?»
«Strafarbeiten haben sie dir aufgebrummt?»
«Du bist lustig, weißt du.»
«Ja, das ist alles, was ich noch kann. Geh jetzt mit der Kleinen da drüben spielen.»
«Mit Camille?»
«Wenn du groß bist, wirst du sie heiraten.»
«Woher weißt du das?»
«Die alten Leute sehen sehr viel weiter, als man denkt.»
Wir liegen im Gras, Camille, Victor, Alice, Béatrice und ich.
Madame Colette, Charlotte, Rosy, Yvonne und Madame Papineau trinken unter dem Sonnenschirm Rotwein.
Die anderen spielen mit Raymond und dem Richter Fußball.
Ich fürchte mich noch immer ein bisschen vor Monsieur Clerget, obwohl ihm das Hemd aus der Hose hängt wie bei Raymond und sie mit Feuereifer bei der Sache sind. Aber bei meinem Glück würde ich ihm den Fußball ins Gesicht schie ßen, und hinterher würde er sich dafür rächen und mich in ein Heim verfrachten, wo die Fenster vergittert sind und ich mich nicht mit meinen Kameraden ins Gras legen könnte.
Alice hat ihr Versprechen gehalten. Seit Simon dableiben durfte, hat sie einen Pferdeschwanz, und ihre Lippen zittern nicht mehr, wenn man mit ihr spricht.
Béatrice lutscht noch immer am Daumen und hat lauter Gras in den Haaren. Sie hat sich lachend im Gras gewälzt, die Arme nach hinten ausgestreckt, bevor sie an den Blumen gerochen hat, als würde sie sich vor ihnen fürchten.
Victor versucht auf einem Grashalm zu pfeifen, den er zwischen Daumen und Zeigefingern straff gespannt hält, und es klingt wie ein Furz, und wir schauen die Erwachsenen an, die nicht zu uns hersehen, und wir lachen uns kaputt.
«Oha», sagt Victor,«der Richter ist hingefallen und streckt die Hufe in die Luft.»
«Wo siehst du Hufe?», frage ich.«Der Richter ist doch kein Pferd.»
«Natürlich ist er kein Pferd, Pflaume! Das ist nur eine Redensart. Manchmal bist du wirklich doof. Noch dümmer als der Dicke, wie heißt er doch gleich?»
«Jujube», prustet Béatrice.
«Wo steckt er eigentlich?», frage ich.
«In meinem Bett. Ihm ist schlecht», antwortet Victor.
«Ach, Quatsch. Jujube markiert immer nur den Kranken. Er wollte nur dein Bett ausprobieren, und hinterher ist es voll mit Krümeln.»
«Simon hat gesagt, dass Jujubes Eltern ihn bald in Fontaines besuchen wollen», sagt Camille.
«Woher weiß Simon das? Liest er immer noch die Unterlagen? »
«Nein, er hat vor dem Büro der Heimleiterin gelauscht.»
«Typisch Simon!», sage ich.«Dann war die Mama von Jujube gar nicht in Peru?»
«Peru, wo ist das?»
«In der Nähe von Russland», sage ich aufs Geratewohl.
«In der Zwischenzeit hatten sie jedenfalls genug Zeit für hundert Weltreisen», sagt Camille.
«Waren sie auch bei mir zu Hause in Martinique?», fragt Béatrice.
«Sicher», sagt Camille und grinst.
«Aber Jujube hat nie ein Wort von seinem Papa gesagt»,
sage ich,«und auf der Postkarte ist nur die Schrift von seiner Mama.»
«Die Papas schreiben nie was auf die Postkarten», sagt Béatrice.«Es sind immer die Mamas, die schreiben: ‹Papa und Mama haben dich lieb›. Die Papas haben einen nur auf den Postkarten lieb, denn in Wirklichkeit schlagen sie die Mamas und sperren die kleinen Mädchen in den Schrank ein.»
«Soso», sage ich.«Und was stellen sie mit den kleinen Jungen an? Fressen sie die?»
«Das weiß ich nicht, ich habe keinen
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