Autobiografie einer Pflaume - Roman
verstanden? »
«Der Esel ist nicht mehr böse», sagt Alice.«Wir haben ihn sogar gestreichelt.»
«Was habe ich bloß angestellt, dass der liebe Gott mich mit solchen schwachsinnigen Kindern straft? Auf der Wiese ist es gefährlich!», schreit Rosy uns an.
«Wir sind aber nicht schwachsinnig», sage ich.«Und du musst uns nicht anschreien, weil du dir Sorgen gemacht hast. Keinem von uns ist was passiert, und der Esel hat sich ganz friedlich
streicheln lassen. Der liebe Gott weiß Bescheid, weil er alles sieht. Du musst ihn nur fragen, dann wirst du schon sehen.»
«Ich habe mir Sorgen gemacht, weil ich euch lieb habe und weil ich nicht will, dass ihr euch in Gefahr bringt. Im letzten Jahr hat es die kleine Françoise auf der Wiese böse erwischt.»
«Vielleicht war sie nicht nett zu dem Esel», sagt Simon.
«Nett oder nicht nett, sie musste für mehrere Wochen ins Krankenhaus», sagt Rosy.«Dieses Tier ist gefährlich, glaubt mir!»
«Essen wir jetzt?», fragt Jujube.
«Rosy, stell dir vor, das kleine Mädchen würde dich zwicken oder mit einem Stock nach dir schlagen. Dann würdest du dich doch wehren, oder?»
«Ja, aber ich würde nicht auf ihr herumtrampeln, Simon.»
«Der Esel kann nicht sagen, dass sie kein Dessert bekommt oder Treppendienst machen muss», sagt Simon hartnäckig.
«Ich habe Hunger!», ruft Jujube.
«Sie hat alles aufgeleckt», sagt Alice und streichelt die Katze.
«Ich verbiete euch, die Wiese zu betreten, ob euch das passt oder nicht, und wenn ich einen von euch dort noch einmal erwische, bekommt er es mit mir zu tun!»
«Dann komm nächstes Mal mit», sagt Simon.«Dann kannst du selber sehen, dass der Esel nicht böse ist.»
«Es gibt kein nächstes Mal.»
«Ja dann», ruft Jujube, und er macht sich über das Brot her, als hätte er seit Jahren nichts zu essen bekommen.
«Liebe Rosy», sagt Simon ganz verzweifelt,«dann geh mit Gérard hin oder mit Michel und Eierkopf oder mit wem du willst. Bitte, tu es, wenn du uns lieb hast! Bitte, Rosy!»
Und wir rufen alle:«Bitte, bitte, Rosy!»
«Na gut, ich überlege es mir bis morgen. Zu Tisch jetzt, sonst gibt es bald kein Brot mehr, stimmt’s, Jujube?»
«Wie?», fragt Jujube mit offenem Mund, in dem es ganz eklig aussieht.
Am nächsten Tag begleitet uns Rosy auf die Wiese, zusammen mit Michel, Gérard, Charlotte und Eierkopf, der schon zum zweiten Mal sagt:«Ist das wirklich nötig, dass ich mitkomme? Ich habe schließlich zu tun.»
«Gleich müssen wir weinen», sagt der Bärtige.
«Ja, gleich müssen wir weinen», wiederholt Ahmed, und darüber müssen alle lachen außer Eierkopf, der seine beleidigte Miene aufsetzt.
«Auf jeden Fall ist strengstens verboten, das Tor im Zaun aufzumachen, verstanden?», schärft uns Charlotte ein.
«Verstanden», sagen wir.
Es ist sowieso nicht nötig, das Tor aufzumachen, weil wir unter dem Zaun durchschlüpfen können. Aber das behalten wir für uns.
Die Katze weicht uns nicht mehr von den Fersen und schlängelt sich zwischen unseren Beinen hindurch.
Sie hat noch immer keinen anderen Namen als«Katze»oder«Miezekatze». Und man sollte meinen, dass sie uns verstehen kann, vor allem beim Essen.
Letzte Nacht hat sie in der Küche in einem Korb geschlafen, und beim Frühstück hat es nicht gut gerochen wegen ihrer«natürlichen Bedürfnisse», wie es der Bärtige ausdrückt. Rosy hat Gérard ins Dorf geschickt, und er ist mit einem Katzenklo zurückgekommen. Wir müssen es jeden Tag sauber machen, und heute war Boris dran, als er aus der Schule kam.«Puh!», hat er gesagt und sich die Nase zugehalten.
Wir hätten die Katze gern in die Schule mitgenommen und Monsieur Paul gezeigt, aber das hat Rosy nicht erlaubt, und als sie gesagt hat:«Sonst setze ich diesen Flohbeutel an die Luft», haben wir sie in Ruhe gelassen.
Manchmal muss man das tun, was die Erwachsenen von uns verlangen. Das ist eine Sioux-Kriegslist. Wir tun so, als wären
wir einverstanden, und später, wenn Rosy supergute Laune hat, fangen wir wieder mit unserer Bettelei an. Und wenn sie die Katze an die Luft setzen sollte, dann würde es mich sehr wundern, wenn die Katze nicht zurückkäme wegen der Milch, dem Käse und den Schokobärchen, die sie frisst und nach denen sie sich das Maul leckt.
Wir stehen alle hinter dem Zaun, aber wir Kinder können nicht viel sehen, nur ich, weil ich einen Kopf größer bin als die anderen.
Der Esel schaut uns an und wedelt mit seinem Schwänzchen.
Ich weiß
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