Avalon 08 - Die Nebel von Avalon
Schwester.«
Griflet sagte mit freundlichem Lächeln: »Ich wußte nicht, daß Euer Vater einen Sohn hat, meine Königin. Aber jedermann ist willkommen, unter König Artus' Banner zu kämpfen…«
»Vielleicht könnt Ihr bei Eurem Gemahl, dem König, ein gutes Wort für mich einlegen, Schwester«, bat Meleagrant. Gwenhwyfar betrachtete ihn mit leichtem Widerwillen. Er war ein sehr großer Mann, beinahe ein Riese, und wie so viele großgewachsene Menschen wirkte er mißgestaltet. Eine Seite seines Körpers schien kleiner zu sein als die andere. Ein Auge war ganz sicher größer als das andere, und er schielte. Doch Gwenhwyfar wollte nicht ungerecht sein und dachte:
Er kann nichts für seine mißliche Gestalt, und ich habe keinen Grund, voreingenommen zu sein.
Es war jedoch reine Anmaßung, sie vor all diesen Männern Schwester zu nennen; inzwischen hatte Meleagrant sogar unerlaubt nach ihrer Hand gegriffen und machte Anstalten, sie zu küssen. Gwenhwyfar ballte die Faust und entzog sie ihm rasch.
Sie versuchte, mit fester Stimme zu sagen: »Mein Vater wird sich zweifellos bei Artus für Euch verwenden, wenn Ihr es verdient, Meleagrant, und der König wird Euch zu einem seiner Ritter machen. Ich bin nur eine Frau, und mir steht es nicht zu, Euch so etwas zu versprechen. Ist mein Vater hier?«
»Er ist bei König Artus in der Burg«, erwiderte Meleagrant verdrießlich. »Ich mußte wie ein Hund hier draußen bei den Pferden bleiben.«
Gwenhwyfar antwortete entschlossen: »Ich wüßte nicht, daß Ihr mehr als das beanspruchen könnt, Meleagrant. Er hat Euch einen Platz an seiner Seite eingeräumt, denn Eure Mutter war einmal seine beste Buhle…«
Meleagrant fiel ihr großmäulig ins Wort: »Jeder Mann im Land weiß ebensogut wie meine Mutter, daß ich der Sohn des Königs, Leodegranz' einzig lebender Sohn bin! O Schwester, legt bei unserem Vater ein gutes Wort für mich ein!«
Er versuchte wieder, nach ihrer Hand zu greifen, aber Gwenhwyfar entzog sie ihm schnell. »Laßt mich weiterreiten, Meleagrant. Mein Vater behauptet, Ihr seid nicht sein Sohn, und wie könnte ich ihm widersprechen? Ich habe Eure Mutter nicht gekannt… dies ist eine Angelegenheit zwischen Euch und meinem Vater!«
»Aber Ihr müßt mir zuhören«, drängte Meleagrant und zog an ihrer Hand. Griflet stellte sich zwischen die beiden und sagte: »He, Bursche, es ziemt sich nicht, so mit der Königin zu sprechen, oder Artus wird dich einen Kopf kürzer machen. Ich bin sicher, unser Gebieter und König wird dir gewähren, was dir zusteht. Und wenn du dich in der Schlacht gut schlägst, wird er dich bestimmt gern im Kreise seiner Ritter sehen. Aber die Königin darfst du nicht auf diese Weise belästigen!«
Meleagrant drehte sich nach ihm um; und obwohl Griflet ein großer, muskulöser junger Mann war, wirkte er neben Meleagrant wie ein Kind: »Willst du mir etwa vorschreiben, was ich zu meiner eigenen Schwester sagen darf, du kleiner Schwätzer?«
Griflet griff zum Schwert und erwiderte: »Ich habe die Aufgabe, meine Königin zu begleiten, Bursche! Und ich erfülle die Aufgabe, die Artus mir zugeteilt hat. Geh mir aus dem Weg, oder ich werde dir Beine machen!«
»Du… und wer noch?« höhnte Meleagrant und lachte schallend. »Ich, zum Beispiel«, erklärte Gaheris und trat schnell an Griflets Seite. Er war groß und kräftig wie Gawain, und man hätte zwei Griflets aus ihm machen können.
»Und ich«, erklang es aus dem Schatten hinter ihnen, und Lancelot trat mit großen Schritten neben das Pferd der Königin. Vor Erleichterung hätte Gwenhwyfar am liebsten geweint. Lancelot hatte nie besser ausgesehen als jetzt; und obwohl er schlank und keineswegs groß war, wich Meleagrant unwillkürlich einen Schritt zurück.
»Belästigt Euch dieser Mann, meine Königin?«
Sie schluckte, nickte und stellte entsetzt fest, daß ihr die Stimme versagte.
Meleagrant spielte sich auf: »Und wer bist du, Bursche?«
»Nimm dich in acht«, sagte Gaheris, »kennst du den Ritter Lancelot nicht?«
»Ich bin Artus' Oberster der Reiterei«, antwortete Lancelot amüsiert, »und Ritter der Königin. Hast du mir etwas zu sagen?«
»Das geht nur meine Schwester etwas an«, entgegnete Meleagrant.
Aber Gwenhwyfar rief mit hoher und schriller Stimme: »Ich bin nicht seine Schwester! Dieser Mann behauptet, der Sohn meines Vaters zu sein, weil seine Mutter eine Zeitlang eine der Frauen des Königs war! Er ist nicht der Sohn meines Vaters, sondern ein Tölpel, der auf
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