Avanias der Große
diesen Moighusen heiraten wollt. Wollt Ihr Euer Leben für einen Mann, den ihr nicht liebt, hinwerfen? Vielleicht seid Ihr noch zu jung, um zu wissen, was das Beste für Euch ist. Manche Menschen muss man zu ihrem Glück zwingen.“
Mischtes' Entscheidung erleichterte Sarafies' Herz, jedoch war die Furcht vor dem Zorn ihres Vaters viel zu groß. Und einen Krieg wollte sie verhindern.
„Ich werde Euch fortschicken.“
Jetzt war er allein. Er, welcher der Menschheit das Wort des Einen Wahren verkündet hatte, nun allein und verlassen. In dieses Verlies drang kaum ein Sonnenstrahl ein. Es war kalt.
Es öffnete sich ein Tor. Der König selbst trat vor die Gitter von Dinjakis' Zelle. Böntschakis betrachtete den Prediger eingehend. Ein Gefühl zwischen Bewunderung und Abscheu überkam ihn. Dinjakis saß auf dem Boden, seine Beine angezogen und seine Arme verschränkt über seine Knie. Böntschakis lachte. Nicht, weil er lachen musste, sondern weil er sich in jenem Augenblick dazu verpflichtet sah. Aber der von seinen Freunden verlassene Prediger zeigte keine Reaktion.
„Sag mir, Prophet, hast du wirklich keine Furcht vor dem Tod?“
Der Prophet rührte sich nicht.
„Ich könnte dich auf der Stelle hinrichten lassen. Glaub mir, nichts würde mir mehr Freude machen. Doch hält mich einzig allein die Vernunft davon ab. Es ist nur die Vernunft, hörst du?!“
Der Tyrann richtete seinen Zeigefinger auf ihn und starrte ihn grimmig an, jedoch bewegte sich Dinjakis immer noch nicht, genau wie ein Toter. War sein Geist nicht anwesend? Vielleicht war er ja wirklich ein Gott oder ein Halbgott.
„Ach, weißt du, diese Priester, dieser Bronanis und auch dieser Anakis, das sind alles Schmarotzer. Diesen Pfaffen musst du nur einen Taler hinwerfen und schon predigen sie das, was du hören willst. Du aber scheinst anders zu sein. Warum sagst du kein Wort, Prediger? Sprich endlich!“
Böntschakis zog sein Schwert hervor und steckte seinen Arm zwischen die Gitter. Die Klinge reichte bis zu Dinjakis' Kehle. Vielleicht würde Dinjakis jetzt im Angesicht des Todes doch noch sprechen, dachte er sich. „Ich will dich nur einmal sprechen hören. Sag etwas! Predige! Los! Ich lass dich danach frei, ich schwöre es!“
Aber der Prediger aus Lömane rührte sich wieder nicht. Warum stach Böntschakis nicht einfach zu? Dieser Mann dort regte den Souverän ohne ein Vergehen auf. Dies war bisher noch nie einem seiner Untertanen gelungen. Der König zögerte.
Da störte plötzlich ein herein eilender Hofdiener diese göttliche Stille. Böntschakis hielt seinen Arm immer noch gestreckt. In diesem Moment hätte er gerne den Diener für seine Störung erschlagen. „Was ist schon wieder?“
„Verzeiht mir, mein Gebieter! Ein Bote ist eingetroffen. Einer unserer Söldner wurde in Avania tot aufgefunden.“
Böntschakis senkte seinen Arm. „Was redest du da?“
„ Ich hoffe, es geht dir gut, mein alter Freund.“
„ Euer Verlust trifft mich tief im Herzen, mein König.“
Beiden Männern konnte man die durch sie durchlebte Härte ihres Daseins ansehen. Sassanias' Haupthaar war erloschen und Malgarias' Haare waren ergraut. Tiefe Furchen durchzogen das Gesicht des Meisters aller Künste. Jetzt, wo sie nach so langer Zeit in diesem Palast gegenüber voneinander saßen, waren ihre Seelen leer. Sie konnten weder weinen, noch lachen.
„Es war alles meine Schuld.“
„ Die Schuld trifft nur Einen. Seine Tage werden gezählt sein.“
„ Auch du, Malgarias?“
„ Verzeiht mir, was meint Ihr?“
„ Ach, der Kleine, er sprach immer wieder davon, was er gegen Östrake unternehmen wolle. Das ist doch Irrsinn!“
„ Nein, so meinte ich das gewiss nicht. Ich wollte nur zum Ausdruck bringen, dass es eine höhere Macht über uns gibt. Was wollte er denn gegen Östrake unternehmen?“
„ Er hat einen palparischen Söldner erschlagen. Ich muss bald nach Östrake aufbrechen, bevor sie eine Armee gegen uns schicken.“
„ Ja, ich verstehe. Ein Krieg gegen Östrake wäre Wahnsinn. Avanias ist nicht leicht zu zähmen. Er stellte mir viele Fragen. Ich versichere Euch, ich habe ihm nichts davon erzählt.“
„ Ich danke dir, mein alter Freund. Aber ich muss dich dennoch darum bitten, mit ihm zu reden und ihm diesen Unsinn aus dem Kopf zu schlagen. Er selbst scheint keine Angst vor dem Tod zu haben, so auch ich. Aber den Tod so vieler Unschuldiger kann er doch nicht wollen. Ich werde das nicht zulassen!“
Sassanias stand wütend auf.
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