Avanti Amore - mein Sommer unter Italienern
versuche, mich nicht von der trostlosen Peripherie abschrecken zu lassen, immerhin sind die Stadtgrenzen von Berlin, Düsseldorf oder Mailand auch nicht überall schön. Außerdem vergrößern zu hohe Ansprüche an ein Reiseziel die Enttäuschung vor Ort nur. Wenig später betrete ich mein Hotel, das sich in der ehemaligen Fiat-Fabrik befindet. Der Lingotto-Gebäudekomplex beherbergte früher die größte Autofabrik der Welt und wurde vor einigen Jahren zu einem Messe-, Kultur- und Einkaufszentrum umgewandelt. An der Rezeption studiere ich den Hotelkatalog und erfahre, dass es auf dem Dach einen Jogging-Parcours gibt.
»Kann man hier wirklich auf dem Dach Sport machen?«, frage ich die Dame an der Rezeption überrascht.
» Si, si. Claro . Dort oben befindet sich die ehemalige Rennstrecke von Fiat.«
»Eine Rennstrecke? Auf dem Dach des Gebäudes?«
»Nun, dies war eine Autofabrik. Damals wurden die fertigen Fahrzeuge nach der Produktion direkt aufs Dach gefahren und dort getestet.«
»Ist ja abgefahren!«, entgegne ich, ohne mir der unfreiwilligen Komik bewusst zu sein. Ich kann nicht glauben, dass man auf einem Hausdach Testfahrten veranstaltet.
»Kann ich mir das anschauen?«
»Natürlich. Ich gebe Ihnen den Schlüssel mit, Sie müssen einfach mit dem Fahrstuhl ins oberste Geschoss fahren und dann die gelbe Tür im Treppenhaus aufschließen. Aus Sicherheitsgründen können wir die Strecke nicht dauerhaft geöffnet lassen. Bei Dunkelheit darf niemand mehr das Dach betreten.« Sie händigt mir meinen Zimmerschlüssel und den Schlüssel zur Rennstrecke aus. Neugierig werfe ich, ohne mein komfortables Zimmer noch eines weiteren Blickes zu würdigen, mein Gepäck auf das Bett und fahre mit dem Fahrstuhl in die oberste Etage. Vonier oben kann man gut erkennen, wie riesig das Lingotto-Gebäude ist. Die Teststrecke hat ganz klassisch an jeder Seite zwei Steilkurven, die ich, den Blick über die Stadt genießend, durchlaufe. Nachdem ich die Strecke einmal umrundet habe, lasse ich mich in einer der Kurven nieder, ein bisschen traurig darüber, so einen aufregenden Platz schon wieder alleine zu besuchen. Sollte ich noch mal nach Mailand kommen, muss ich dem Kellner Paolo diesen Ort unbedingt für sein nächstes romantisches Picknick empfehlen. Um meine Einsamkeit im Keim zu ersticken, beschließe ich, meine italienische Bekanntschaft, Raffaele, den barista aus der Zucca-Bar, anzurufen. Da ich mir schon in Mailand ein italienisches Prepaid-Handy besorgt habe, kann ich hier auf dem Dach sitzend ein wenig mit ihm plaudern, ohne dass es zu teuer wird. Etwas nervös wähle ich seine Nummer, denn ein wenig fühle ich mich so, als würde ich einen völlig Fremden anrufen.
»Raffaele? Hier ist Dana! Dana aus Deutschland.«
»Dana! Wie schön, von dir zu hören. Wie geht es dir?« Ich bin erleichtert. Immerhin scheint er sofort zu wissen, wer ich bin.
»Ganz gut«, antworte ich zögerlich und weiß nicht so recht, was ich sagen soll. »Du wunderst dich bestimmt, dass ich dich anrufe. Aber um ehrlich zu sein, so allein zu verreisen kann manchmal ein bisschen langweilig und einsam sein. Ich hoffe, es ist in Ordnung, dass ich mich bei dir melde.«
»Na klar. Deshalb hab ich dir doch meine Nummer gegeben.«
»Trotzdem. Eigentlich kennen wir uns doch kaum. Ich weiß ja so gut wie gar nichts über dich«, entgegne ich schüchtern.
»Na und? Jetzt weißt du schon mal, dass ich mich über deutsche Damenbekanntschaften freue. Eine Eigenschaft, die ich übrigens mit den meisten meiner Landsleute teile.« Er lacht am anderen Ende der Leitung. »Was willst du denn wissen? Die drei Fs? Familienstand? Finanzen? Führungszeugnis?« Jetzt muss auch ich lachen. Das Eis zwischen uns ist gebrochen.
Zum Beispiel«.
»Hm. Mein Onkel ist ein hohes Tier bei der Mafia, die Finanzen sind also gesichert. Ich hab drei Ehefrauen und bislang erst einen Mord begangen. Reicht das?«, antwortet er ironisch.
»Nur ein Mord? Prima. Damit kann ich leben.« Ich kichere. »Mal im Ernst, a parte gli scherzi . Was machst du denn eigentlich? Bist du jeden Tag in der Zucca-Bar?«
»Im Moment schon. Ich habe Architektur studiert und bin gerade auf der Suche nach einem neuen Job. Bei uns im Land sieht es ja momentan was die Arbeitsplätze angeht nicht so gut aus. Vor allem für Architekten. Bis ich was Neues gefunden habe, verdiene ich mir im Zucca was dazu.«
»Dann halte ich dir die Daumen, dass du bald was findest«, antworte ich.
»Und wie läuft es bei
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