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Avi Avraham ermittelt 01 - Vermisst

Titel: Avi Avraham ermittelt 01 - Vermisst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dror Mishani
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weiterhin zu treffen, nachdem seine Eltern den Nachhilfeunterricht abgesetzt hatten, vielleicht sogar, ohne dass die Sharabis davon wussten.«
    »Konzentriert sich Ihre Ermittlungsarbeit jetzt auf den Nachhilfeunterricht, den ich Ofer erteilt habe?«
    »Auch. Die Ermittlungen konzentrieren sich auf Ofers Leben, und Ihr Nachhilfeunterricht war nun einmal ein wichtiger Bestandteil seines Lebens, denken Sie nicht?«
    »Ja, doch. Ich verstehe nur nicht, was Sie fragen wollen.«
    »Die Frage ist, ob Ofer nach Beendigung der Nachhilfestunden weitere Treffen mit Ihnen angeregt hat, denn ich weiß, dass er das wollte. Vielleicht hat er Sie gefragt, und Sie haben abgelehnt?«
    Hatte Ofer das wirklich gewollt? Bei ihren zufälligen Begegnungen im Treppenhaus hatte er auf Seev nur ausgesprochen schüchtern und verlegen gewirkt. Hatte vermieden, ihn anzusehen, als wollte er ihn ignorieren. Einige Wochen vor seinem Verschwinden hatten sie sich morgens vor dem Haus getroffen. Als Seev gerade die Kette löste, mit der der Motorroller abgeschlossen war, trat Ofer aus dem Haus, in einem enganliegenden grauen T-Shirt. Er hatte ihn angesprochen, hatte gefragt, wie das Halbjahr in der Schule laufe, und Ofer hatte geantwortet, es sei ganz okay und dass er zu spät zur Schule käme, und war verschwunden. Für einen Moment hatte Seev überlegt, ihm anzubieten, er könnte ihn auf dem Roller mitnehmen, Michals Helm lag ja im Fach unter der Sitzbank, hatte dann aber darauf verzichtet, weil er Ofers Distanz schmerzhaft spürte.
    »Ofer hat kein Treffen angeregt. Im Gegenteil. Wie ich Ihnen schon sagte, ich hatte den Eindruck, er mied mich, vielleicht, weil er Schuldgefühle wegen der Beendigung des Nachhilfeunterrichts hatte. Hätte er sich an mich gewandt, hätte ich mich nicht verweigert. Ich habe Ihnen auch gesagt, dass ich seinen Eltern angeboten hatte, die Privatstunden gegebenenfalls auch ohne Bezahlung fortzusetzen.«
    »Ich soll Ihnen also glauben, dass Sie beide seit Dezember nicht mehr miteinander gesprochen haben?«
    »Natürlich haben wir, wenn wir uns im Haus begegnet sind, ein, zwei Worte gewechselt, aber vielleicht kann ich jetzt auch endlich etwas sagen?«
    Avraham lehnte sich auf seinem Stuhl zurück, und Seev hatte den Eindruck, er wäre endlich bereit zuzuhören. Also begann er: »Ich entnehme Ihren Fragen, dass Sie den Verdacht hegen, meine Verbindung zu Ofer hätte auch nach Beendigung der Stunden fortbestanden, und ich sage Ihnen, dem ist nicht so. Und Sie haben keinen konkreten Anhaltspunkt. Ich wusste es im Voraus und habe mich darauf eingestellt, dass Ihre Fragen in diese Richtung gehen würden. Was schade ist. Ich habe nicht verheimlicht, dass eine enge Beziehung zwischen uns bestand. Hätte ich dies verheimlichen wollen, wäre ich wohl kaum aus freien Stücken hergekommen und hätte Ihnen davon erzählt, wäre Ihnen nachgejagt – wie Sie es nennen. Meinen Sie nicht?«
    Avraham antwortete nicht.
    »Mir ist klar, dass Sie, nachdem ich Ihnen von meinem anonymen Anruf erzählt habe, den Verdacht hegen, ich hätte etwas mit Ofers Verschwinden zu tun, oder zumindest vermuten, ich hätte eine spezielle Verbindung zu Ofer gehabt. Das ist Ihr Job, ich habe nichts dagegen einzuwenden. Aber es trifft nicht zu. Und ich frage Sie erneut: Erscheint es Ihnen plausibel, dass ich bei der Polizei anrufe oder aus eigenem Antrieb herkomme, um mit Ihnen zu reden, wenn ich etwas mit Ofers Verschwinden zu tun hätte? Oder dass ich Ihnen ganz offen und ehrlich von dem anonymen Anruf erzähle? Wie auch immer, ich habe Ihnen noch etwas zu sagen, und danach können Sie mich weiterfragen, was immer Sie möchten.«
    »Ich höre.«
    »Gut. Vorher will ich Ihnen sagen, mir ist bewusst, dass sich Ihr Verdacht gegen mich nach dem, was nun kommt, noch erhärten wird. Aber ich bitte Sie erneut, logisch zu denken und zu überlegen, ob ich tatsächlich aus freien Stücken jetzt hier säße, um Ihnen zu sagen, was ich zu sagen beabsichtige, wenn ich etwas mit Ofers Verschwinden zu tun hätte.«
    Hätte es einen anderen Weg geben, über die Briefe zu reden, ohne Reue vortäuschen zu müssen, die er nicht empfand? Er kam sich wie ein Betender in der Synagoge vor, der sich in seinen Gebetsmantel hüllt und die Gebetsriemen um Arm und Stirn legt, obgleich Gott nicht in seinem Herzen ist.
    Avraham warf einen schnellen Blick auf das Tonbandgerät, um sicherzustellen, dass es noch lief.
    »Ich habe auch die Briefe in Ofers Namen geschrieben«, sagte

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