Azurblaue Gewalt (Carla, John und Franklyn)
Nachbar. Er musste und wollte sich um das Wohlergehen der Tiere kümmern, so hatte Opa es immer gewünscht.
Die Schafe sollten Ruhe und Harmonie in die Familie bringen. Ihre gemütliche Art zu leben sollte den Menschen angeblich positiv beeinflussen.
Tatsächlich stellten die Freunde fest, dass eine gewisse Ruhe von den Tieren ausging. Fressen, ausruhen, fressen, schlafen. Wenn man sie betrachtete, wurde man automatisch ruhiger. Selbst Don Cami llo fand seinen Gefallen an den Tieren, wo es doch seine ursprüngliche Aufgabe war, auf Schafe aufzupassen, sie zu lenken und zu leiten. Auf diese Tiere brauchte er aber nicht aufzupassen. Sie standen herum, liefen nie davon und mussten auch nicht in einen Stall getrieben werden. Sie gingen von allein dorthin, wenn sie müde waren.
Damit die Schafe nicht ihre eigenen Wege gingen und das Grundstück verließen, hatte der Nachbar einen Weidezaun errichtet, der mithilfe von Stromimpulsen die Tiere dort hielt, wo sie sein sollten: Auf dem Gelände der Nachbarn. Es schmerzte fürchterlich, wenn man mit dem Zaun in Berührung kam. Kluge Menschen mieden die Berührung mit dem Metalldraht, Schafe eigentlich auch. Sie wussten ganz genau, was sie erwartete, wenn sie dem Draht zu nah kamen.
Es war der Abend nach einem warmen Herbsttag, als die fünf beschlossen, ein Lagerfeuer zu entzünden und im Garten zu feiern. Das gelbe, rote und braune Laub der Bäume zauberte eine romantische Stimmung, der sie alle sofort verfielen. Mit steigender Anzahl an getrunkenen Wein- und Biergläsern wurde es stets lustiger. Sie sangen Lieder zur Gitarre, grillten Marshmallows und Stockbrot und vergaßen für einen Abend die üble Vergangenheit. An die azurblaue Gewalt, die ihnen von Zeit zu Zeit das Leben schwer gemacht hatte, verschwendete niemand einen Gedanken.
Carla brachte gerade eine neue Tüte Chips und Marshmallows. In ihrer anderen Hand hielt sie eine gut gekühlte Flasche Weißwein. „Nachschub“, rief sie in die Runde. „Und hier ist noch etwas gegen den Durst. Wer möchte noch ein Glas?“
Schnell wurde sie ihren Wein los. Für sie selbst blieb zum Glück noch genau ein Glas übrig.
John, der gerade stand, hörte im CD-Spieler gerade seinen Lieblingssong. Direkt begann er zu tanzen. Dabei sprang er wie ein junges Reh über den Rasen. Seine Freunde mussten über seine Darbietung lachen.
„Hey, John, du hättest auf einem Westernball den ersten Platz belegen können, so wie du tanzt“, sagte Franklyn und lachte. „Pass auf, dass dir das Bier nicht aus der Hand fällt.“
John hatte es heute ein wenig übertrieben. Sein Bierkonsum hatte ihn albern werden lassen. Seine Zunge war sehr locker, häufig hatte er witzige Sprüche auf Lager. Dabei lallte er bereits ein wenig. Durch das Tanzen angeregt machte sich plötzlich seine Blase bemerkbar. Das Bier, das er oben hineingeschüttet hatte, wollte unten wieder heraus. Da er aber zu bequem war, auf die Toilette zu gehen und die Sonne bereits unter gegangen war, zog er es vor, sich am Zaun zu erleichtern. Die Nachbarn würden ihn schon nicht sehen. Schließlich war es mittlerweile nahezu dunkel. „Ich bin gleich wieder da. Ich muss nur mal schnell den Zaun begießen“, rief er seinen Freunden zu.
„Ja, ja, geh du nur, bevor du dir in die Hose machst“, kam der Kommentar von Franklyn zurück.
John hatte sich bereits von seinen Freunden abgewandt. Er öffnete seinen Gürtel und die Knöpfe, tat was er tun musste und traf – wie konnte es auch anders sein – mit dem Wasserstrahl den elektrischen Weidezaun des Nachbarn. Anfangs fiel es ihm gar nicht auf, denn das Geräusch des auftreffenden Strahls auf Gras hörte sich fast genauso an, wie auf Metall. Doch dann kam der Stromimpuls durch den Draht geschossen. Der Impuls suchte sich den Weg des geringsten Widerstandes, und so schoss er durch Johns Wasserstrahl. „Aaaah!“ John brüllte wie am Spieß und tanzte mit einem schmerzverzerrten Gesicht über den Rasen. Sofort schaltete Carla die Taschenlampe ein und leuchtete auf John. Sie hatte sofort erkannt, was ihm wiederfahren war und begann, heftig über ihn zu lachen. „Na, war es erfrischend? Hast du dich gut erleichtert?“, sagte sie und musste heftig gegen das Lachen ankämpfen. Fast hätte er sie nicht verstanden.
„Lacht Ihr nur. Ihr wisst ja gar nicht, wie das weh tut!“, brüllte er wütend zurück. „Verfluchter Zaun. Warum schaltet der Trottel den Zaun nachts nicht ab? Da sind doch gar keine Schafe mehr auf der
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