Azurblaue Gewalt (Carla, John und Franklyn)
hatte MS. Seine gesamte Muskulatur litt unter der Krankheit, deshalb hatte man ihm nahe gelegt, seine Arbeit nieder zu legen, doch dazu konnte er sich selbst nicht überreden. Er konnte die Tätigkeit, die er bisher tagtäglich durchführte, nicht mehr bewältigen. Das musste er sich allerdings zugestehen. Wenn er nach einem Metallteil griff, musste er es regelrecht einfangen, so stark zitterten seine Hände. Manchmal rutschte er dabei aus und warf das Präzisionsteil auf den Fußboden. Mittlerweile war es oft passiert, dass ein mühsam erstellter Prototyp dabei zerstört wurde. Der Ausschuss, den er verursachte, war bereits wesentlich größer, als die tatsächlich brauchbaren Teile. Diese Kosten konnte und wollte sein Arbeitgeber nun nicht mehr tragen.
„Soll ich lügen, oder willst du die wahre Antwort h ören?“
„Heute will ich die Wahrheit“, sagte Carla neugierig. „Was ist passiert?“
Scherzhaft sagte er: „Ich höre auf zu arbeiten. Ich habe keine Lust mehr.“
„Bist du verrückt?“, antwortete Carla entsetzt , denn sie wusste noch nicht, was in den letzten beiden Wochen passiert war.
„ Nein, unser Chef hat mich sozusagen rausgeschmissen. Er hat mich zwar nicht direkt gefeuert, hat mir aber geraten zu gehen. Er hat es mir nahe gelegt . Diese dämliche Krankheit versaut mir mein ganzes Leben. Von was soll ich leben, wenn ich nicht mehr arbeite? Ich brauche das Geld, ich kann nicht einfach tatenlos zu Hause herumsitzen und warten, bis das Geld hereinrieselt. Ich bin genauso alt wie du, Carla. Ich kann mich nicht zur Ruhe setzen und von meiner Rentenversicherung leben. Dafür ist die Rente zu klein. Wie soll ich leben, wenn ich keine Arbeit mehr habe?“
„Oh, Carlos, das tut mir fürchterlich leid. Ich würde dir so gern helfen, aber ich weiß nicht, wie ich das tun soll. Wenn ich könnte, würde ich dich von deinem Leiden befreien, aber ich bin leider nicht Gott. Es ist fürchterlich, dich so leiden zu sehen. Mir stehen die Tränen in den Augen, wenn ich darüber nachdenke, wie es dir gerade geht.“
Carla hakte sich unter seinem Arm ein und gab ihm e inen Impuls, mit ihr gemeinsam zu einem großen Fenster zu gehen. Sie sahen, dass es Bindfäden regnete. Seine trübe Stimmung spiegelte sich im Wetter wider.
„Und dann ist auch noch mein kleiner Liebling gesto rben. Armer, kleiner Wellensittich. Er war doch schon so zahm. Warum musste der liebe Gott ihn zu sich holen? Jetzt bin ich ganz allein zu Hause. Niemand begrüßt mich jetzt, wenn ich in meine Wohnung komme, und niemand verabschiedet sich von mir, wenn ich gehe. Ich hatte ihn Batman genannt, weil er so toll fliegen konnte.“
Carla standen vor Mitleid die Tränen in den Augen. Sie wusste, was es bedeutet, wenn man mit Multipler Sklerose leben musste. Seine Krankheit hatte mittlerweile einen fürchterlichen Zustand angenommen. An allen seinen Bewegungen konnte man erkennen, dass das Übel ihn fest im Griff hatte und ihn nie wieder loslassen würde. Sicher würde es nicht mehr lange dauern, bis er auf einen Rollator angewiesen sein würde, um nicht während des Gehens hinzufallen. Noch schaffte er es die meiste Zeit ohne diese Gehhilfe. Doch sein Zustand verschlimmerte sich von Monat zu Monat.
Liebevoll breitete sie ihre Arme aus , drückte ihn zärtlich und tröstete ihn liebevoll. Ihre Umarmung bewirkte Wunder: Sein Zittern hörte sofort auf, und seine Stimmung stieg wieder ein wenig. Carlos genoss die Wärme ihres Körpers, die er durch seine Kleidung fühlen konnte. Es waren bloß ein paar Sekunden, doch auch diese bewirkten wahre Wunder. Er wusste, dass sich jemand Sorgen um ihn machte. Es half ihm zwar nicht wirklich, doch es tröstete ihn ungemein. Dennoch musste er heftig weinen. Sein Schluchzen bereitete Carla einen großen Kloß im Hals. Es fiel ihr zusehends schwerer, mit ihm zu sprechen, ohne dass ihr die Stimme brach. Zwei Kolleginnen, die zufällig die Situation beobachteten, wussten sofort, dass ihm gekündigt worden war und verspürten bei seinem Anblick ebenfalls ein aufkommendes Gefühl der Tränen. Schnell wandten sie sich ab, um nicht tatsächlich anzufangen zu weinen. Carlos war bisher immer ein sehr beliebter Kollege gewesen, der ständig einen kleinen, netten Scherz auf Lager hatte, so schlecht es ihm auch ging.
Fast hätte er die Kontrolle über seine Beine verloren, Carla konnte ihn gerade noch stützen. Carlos entschuldigte sich dafür, doch Carla redete ihm aus, dass er sich hierfür entschuldigen
Weitere Kostenlose Bücher