Babel Gesamtausgabe - Band 1-3
die er an Babel richtete.
»Sieht gut aus.«
»Ja, sie ist ein echtes Schmuckstück. Am Nachmittag wird es richtig voll.« Seine Begeisterung war echt, und der Blick, den er durch den Raum schweifen ließ, sprach von Besitzerstolz. »Komm, ich zeig dir die Wohnräume im Obergeschoss.«
Doch Babel rührte sich nicht.
Als er ihr Zögern bemerkte, lachte er leise. »Hast du etwa Angst?« Sein spöttischer Blick wanderte zu Tamy. »Deine Anstandsdame kann gern mitkommen.«
Genervt steckte Tamy die Hände in die Hosentaschen und schüttelte den Kopf. »Lasst mich aus euren Spielchen raus.«
»Na schön, aber nur kurz«, erwiderte Babel und vermied es, Tamy anzusehen, die trocken fragte: »Wann soll ich dich holen kommen?«
Was Sam mit einem Lachen quittierte.
Langsam folgte Babel ihm, während Tamy zu den Sandsäcken schlenderte. Als sie am Ring vorbeikamen, warfen ihr die Männer neugierige Blicke zu, verkniffen sich aber jegliche Bemerkung. Mit ihrer Größe überragte Tamy alle drei.
Ganz im Gegensatz zur Vorderseite des Gebäudes befanden sich im Aufgang zum ersten Stock, der nach hinten lag, große Fenster, die Tageslicht ins Treppenhaus ließen. Die Treppe selbst bestand aus feuerfestem Stahl und glänzte, wo die Sonne darauf traf. Auf den Fensterbänken standen keine Pflanzen, aber Steinschalen, in denen allerlei Krempel lag. Streichhölzer, Autoschlüssel und sogar eine Handvoll Knöpfe. Eine weitere graue Feuertür führte in den Wohnbereich.
Auch hier war die Einrichtung eher spartanisch und modern. Dunkle Möbel gegen weiße Wände. Kein einziges Möbelstück, das keine Funktion besaß und nur zur Zierde dastand. Design schien an Sam verschwendet. Das einzig Ungewöhnliche war eine riesige Stereoanlage, neben der sich an der Wand Hunderte CD s stapelten. Musik war schon immer eine seiner Schwächen gewesen.
Wie auf Schienen lief Babel durch die Wohnung, er immer einen Schritt hinter ihr. Sie konnte seinen Blick im Rücken spüren, während sie von Zimmer zu Zimmer ging und in das Leben eintauchte, das er fern von ihr führte. Nicht ein Möbel kam ihr bekannt vor, nichts erinnerte an die Geschichte, die sie beide teilten. Da war kein Foto von ihr, keine Urlaubserinnerung, nicht einmal etwas aus der Zeit, als sie sich kennengelernt hatten und in der sie für eine kleine Weile tatsächlich glücklich gewesen waren.
Es war, als hätten sie sich nie gekannt.
Ihre Finger strichen über die Oberfläche der verchromten Küchenzeile, in der sich Babels Gesicht spiegelte. Ein überraschter Ausdruck stand darin. Sie fragte sich, was er in den Jahren getan hatte, während sie keinen Kontakt gehabt hatten, und etwas wie Bedauern erfasste sie.
Auch im Schlafzimmer herrschte eine klare Linie. Ein schwarzer Lackschrank nahm fast eine ganze Wandseite ein. Das Bett besaß ein schnörkelloses Eisengestell, neben dem eine Stehlampe stand. Ein altmodischer Wecker lag daneben. Es gab weder einen Spiegel noch einen Teppich. Er kam nur zum Schlafen hierher. Es war kein Zimmer, in dem man träge seine freien Stunden verbringen wollte.
Erstaunt stellte sie fest, dass an der Wand gegenüber dem Kleiderschrank ein grobkörniges Schwarz-Weiß-Foto hing. Es war das einzige Bild in der ganzen Wohnung. Neugierig trat sie näher.
Das Foto war mindestens neunzig mal siebzig Zentimeter groß und wies den einen oder anderen Knick auf. Es besaß weder einen Rahmen noch einen Glasschutz, als hätte Sam es eilig gehabt, das Bild zu befestigen. Es zeigte eine Frau, die sich dem Betrachter zuwandte. Sie besaß große dunkle Augen, die zu ihrem schwarzen Haar passten, das ihr in dicken Strähnen ins Gesicht fiel. Sie war eine von diesen Frauen, die kaum Make-up benötigten, weil ihr eigenes Gesicht genug Kontraste bot. Volle Lippen, lange Wimpern – eine Muse für Maler und Bildhauer.
Bei ihrem Anblick verspürte Babel einen seltsamen Stich.
»Gefällt sie dir?«, fragte Sam und trat neben sie. Er hatte die Arme verschränkt und musterte das Bild. Sein Gesichtsausdruck war nicht zu deuten.
»Sie ist sehr schön«, antwortete Babel ehrlich. Gemeinsam betrachteten sie das Bild. Dabei standen sie so dicht beieinander, dass sich ihre Schultern beinahe berührten. »Wer ist sie?«
»Kannst du’s nicht erkennen?« Seine Stimme klang ein bisschen spöttisch und war ein Hinweis auf die Antwort.
»Eine Hexe?«
Er nickte.
Irritiert drehte sie sich um, als erwarte sie, dass die andere Frau jeden Moment durch die Tür treten könnte.
Oh,
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