Babel Gesamtausgabe - Band 1-3
Liebevolles.
»Niet-niet«, machte ihre Schwester, und unwillkürlich musste Babel lächeln.
»Wollen wir?«, fragte sie.
»Wann immer du bereit bist.« Judith ließ die Hand sinken, ein konzentrierter Ausdruck trat auf ihr Gesicht.
Babel nickte und warf einen letzten Blick auf Auguste. Still saß er da und beobachtete sie. Wer es nicht besser wusste, konnte ihn für einen reichen Geschäftsmann halten. Dabei hatte dieser Mann mehr Blut an seinen Händen kleben als sie alle.
Was er wohl bei seinen Ritualen verwendete? Ziegen? Hühner? Entlaufene Katzen und Hunde? Großstädte wie Paris boten eine Vielzahl an Möglichkeiten, sich Tiere zu besorgen. Die Ombres besaßen Züchter in ihren Reihen, die sich darauf spezialisiert hatten, Tiere für Blutrituale zu liefern. Es war ein einträgliches Geschäft.
Babel hatte Jahre gebraucht, um den Blutgeruch aus ihrer Erinnerung zu vertreiben, er aber schien solche Probleme nicht zu haben. Nekromanten verfügten über stabile Mägen.
Sie drehte sich um und nahm noch einmal Blickkontakt mit Karl auf, der unmerklich nickte, bevor sich seine Aufmerksamkeit auf Auguste richtete. Sie war froh, dass er bei ihr war, das gab ihr ein Gefühl von Sicherheit.
Sie setzte sich an den Schreibtisch und bedeutete Judith, auf dem zweiten Platz ihr gegenüber Platz zu nehmen. Bevor sie begann, atmete sie ein paarmal tief durch und erinnerte sich an die Übungen, die Tamy ihr beigebracht hatte.
Vergiss nicht zu atmen.
Ich hab eher Angst, dass mein Herz mittendrin stehenbleibt.
Tja, dann wäre wenigstens der Übergang nicht so weit, wenn du schon mal drüben bist …
Ein letztes Mal ballte sie die Hände zu Fäusten und öffnete sie wieder, dann begann sie mit dem Ritual. Am Anfang verhielt sie sich genauso wie bei ihrem letzten Besuch auf der Totenebene, als sie nach Madame Vendome gesucht hatte. Wieder schüttete sie Knochenasche und Milch zusammen, tauchte eine Hand in den kühlen Brei und ließ die magischen Energien fließen, bis sie die Ebenen wechselte, als würde sie darin schwimmen. Apfelgeschmack legte sich auf ihre Zunge, und die Temperatur um sie herum kühlte sich ab.
Mit der sauberen Hand pustete sie zusätzlich Holzasche in die Luft und machte so die Energien ihrer eigenen Existenzebene sichtbar, die jedem Ding innewohnten. Es ergab sich ein merkwürdig buntes magisches Netz auf zwei Ebenen, beinahe wie bei einem mehrfach belichteten Foto.
Judith pulsierte in einem strahlenden Hellblau, Babels eigene Magie in einem kräftigen Dunkelblau. Weil sie so dicht beieinander waren, waberten ihre Energielinien an den Rändern ineinander.
Karl umhüllte eine tiefrote Aura, die Babel jedes Mal amüsierte, denn sie sprach von der weiten Gefühlsspanne, die sich hinter seiner rauen Schale verbarg. Dort, wo das Rot am tiefsten war, vermutete sie das Zentrum seiner Liebe zu Dolly Parton und Countrymusik.
Augustes Anblick ließ sie zusammenzucken, obwohl er eigentlich keine Überraschung war. Noch nie hatte sie jemanden gesehen, dessen magisches Netz so stark mit Totenenergie verbunden war wie seines.
Auch in ihrem eigenen Netz fanden sich weiße Stellen, die erkennen ließen, dass sie in Kontakt mit Totenenergie gekommen war, aber das war nichts im Vergleich zu diesem Ombre. Er schien eine zweite Haut zu besitzen, eine hauchzarte Membran, die unter seinen Energielinien verlief. Beinahe wie eine Eisschicht, die seinen Körper überzogen hatte und im Licht glitzerte. Wie ein Eisriese aus den alten Legenden. Selbst seine Augen hatten jegliche Farbe verloren, sie waren nebelgrau.
Schau ihn dir gut an, das ist der Diener des Todes.
Er sieht aus wie ein Kristall.
Das hätte aus dir werden können, wenn du den Pfad nicht verlassen hättest. Blut zieht immer weiteres Blut nach sich …
Sein Anblick war furchterregend.
Er konnte wohl an ihrem Gesichtsausdruck erkennen, was sie sah, denn er senkte den Kopf, aber sie wusste nicht, ob ihm seine Vergangenheit peinlich war oder ob es ihm vielleicht nur nicht passte, dass sie nun so viel über ihn wusste. Fest stand, dass er in der Nekromantie kein Anfänger gewesen war. Er musste sie über Jahre ausgeübt haben.
Sollte sie wirklich glauben, dass jemand wie er freiwillig davon lassen konnte?
Mehr denn je fragte sie sich, wie Judith es bei ihm aushielt. Er musste ein seltsamer Mensch sein. Was bewegte jemanden dazu, sich immer und immer wieder mit den Toten zu beschäftigen? Ihre Nähe zu suchen und in ihre Welt einzutauchen, als wäre
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