Babel Gesamtausgabe - Band 1-3
weiterer Fall für die berühmte Ironie des Lebens.
Noch einmal atmete Babel tief durch, während sich Angst den Weg durch ihre Eingeweide bahnte. Allerdings nicht vor Clarissa, auch wenn sie die andere Hexe nicht unterschätzte – die Angst vor sich selbst war größer. Babel wusste, wenn sie Clarissa besiegen wollte, musste sie ihre Magie in einem Maß nutzen, das sie seit Jahren nicht mehr eingesetzt hatte, vielleicht sogar noch nie, und es beschämte sie, sich eingestehen zu müssen, dass sie nicht wusste, ob sie dazu auch in der Lage war.
In diesem Moment spürte sie einen kalten Hauch, und auch ohne auf die Totenebene zu wechseln, wusste sie, dass Hilmar in ihrer Nähe war.
Bist du gekommen, um mir beizustehen, oder um mich auf der anderen Seite in Empfang zu nehmen, wenn es schiefgeht?
Für einen Moment schloss sie die Augen. Wie passend, dass dieser Tote jetzt an ihrer Seite war, dieser Teil ihrer Vergangenheit, der einen solch großen Einfluss auf ihr Leben hatte; zu dem alles zurückführte – und der jetzt bei ihr war, wenn es um ihre Zukunft ging.
Wirst du mich ein letztes Mal führen, so wie du es damals getan hast?
Die Kälte streifte ihre Wange, und Babel nickte, als hätte Hilmar ihr tröstende Worte gesagt. Vielleicht würde sie während des Kampfes auf die Energie der Totenebene zurückgreifen müssen, aber das war komplizierte Magie, die Konzentration erforderte, die Babel wahrscheinlich anderweitig brauchte.
Entschlossen öffnete sie die Augen und setzte die Kreide auf dem Emailleboden an, um weiße Linien über die grüne Tafelfarbe zu ziehen. Mit jedem Strich spürte sie ihre Magie stärker, flossen die Energien schneller, und bald schon erhitzten sich ihre Hände. Die Symbole, die ihre Macht stärken sollten, konnte sie im Schlaf zeichnen, obwohl sie sie seit Jahren nicht mehr benutzt hatte. Da ihre Magie hauptsächlich intuitiv funktionierte, hatte sie selten die magischen Zeichnungen genutzt, doch heute konnte sie alle Hilfe gebrauchen.
Die Symbole waren alt, ihre Mutter hatte sie Judith und Babel schon als Kinder beigebracht, und später hatten die Töchter sie so verändert und ihrer Magie angepasst, dass sie individuell zu ihnen passten. Anhand der Art, wie die Hexen diese Symbole verwandten, konnte man sie auch identifizieren. Babels Symbole waren schnörkellos und besaßen breite Linien, im Gegensatz zu Judiths, die ornamenthafte Darstellungen bevorzugte. Aber dafür war Babel zu ungeduldig, ihre Bilder spiegelten ihren Charakter wider, und genau darum ging es, denn die Symbole verstärkten die ihr innewohnende Magie; halfen, sie zu bündeln und einzusetzen.
Babel zog auch die Energie der Katzenstatuen ab und nahm sie in sich auf, bis sie vor Magie mit den Zähnen klapperte. Auf den Wänden des Magiezimmers zeigten sich bunte Schlieren, durchzogen von tiefschwarzen Fäden. Psychedelisch anmutende Muster entstanden auf dem Putz, und die Gegenstände, die zu leicht waren, rutschten hin und her.
Doch das war noch nicht das Ende. Babel drehte den Ring mit der Eisenspitze, den sie immer trug, zur Innenfläche der Hand und schloss sie. Tief drang die Spitze in ihre Haut, aber der Schmerz wurde von den Endorphinen davongeschwemmt, die ihr Körper freisetzte. In dicken Tropfen fiel das Blut auf die Symbole am Boden und vermischte sich dort mit der Kreide.
Mein Blut für die Macht , dachte Babel und zeichnete die blutigen Kreidelinien mit den Fingern nach, um dann mit dem Gemisch kleine Symbole auf die Arme zu zeichnen, wo es trocknete und rissige Bilder hinterließ. Die Magie floss wie aus einer Quelle aus ihr heraus.
Und, fühlst du dich lebendig?
Ja.
Babel stützte sich mit den Händen auf dem Boden ab und atmete schwer. Das Gefühl, das sie durchströmte, hatte sie vermisst, diese Euphorie, die sie in jeder Zelle spüren konnte. Das Gefühl … glücklich zu sein.
Es ist mehr als das, nicht wahr?
Es ist das Paradies.
Plötzlich durchfuhr sie ein Energiestoß.
Sam.
Sie hob den Blick und sah ihn am Türrahmen lehnen. Neben ihm stand Tom, die Stirn gerunzelt. Sam musste ihn durch die Kellertür gelotst haben. Durch seine Verbindung zu Babel konnte er die Sperre durchtreten, ohne dass Babel sie für ihn aufhob. Wahrscheinlich hatte er Tom am Handgelenk gepackt und ihn so ebenfalls hineingebracht.
Langsam traten sie näher. In Sams Augen konnte sie die Erregung sehen, die er bei ihrem Anblick empfand. Endlich hatte er sie wieder, er hatte nie verstanden, warum sie ihre eigene
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