Babylon: Thriller
Industrieunternehmen gebaut wurden und mittlerweile keinerlei Zweck mehr erfüllen.
Ich kannte die Geschichte des Museums. Auf dem Höhepunkt der britischen Macht im Nahen Osten, als die Grenzen des modernen Irak festgelegt wurden, gegründet, war es anfangs nur ein einziger Raum in einem Gebäude in Bagdad gewesen. Als mehr Platz gebraucht wurde, errichtete man am Tigrisufer ein kleines Museum. Im Jahr 1926 eingeweiht und eröffnet, war das Museum das Produkt einer engen Zusammenarbeit zwischen dem irakischen König Faisal und einer bemerkenswerten Engländerin namens Gertrude Bell. Al-Khatun wurde sie genannt. Sie war Forscherin, Schriftstellerin und Archäologin und widmete einen großen Teil ihres Lebens dem Schutz der mesopotamischen Kultur.
Das Museum, wie man es heute kennt, wurde in den 1960er-Jahren erbaut. Die Hauptgalerien waren in Gebäuden untergebracht, die um einen rechteckigen Innenhof angeordnet waren. Seit der Gründung des Museums war es immer wieder zu Plünderungen gekommen, doch die schlimmsten Übergriffe fanden während des Golfkriegs statt. Seitdem war es für die Öffentlichkeit geschlossen.
Nachdem ich durch das Tor gegangen war, reichte ich den Pass, den Ward mir wieder zurückgegeben hatte, einem amerikanischen Marineinfanteristen, der mir den richtigen Eingang zeigte. Eine ältere Frau mit Hornbrille und einem Hijab, die sich als Hanifa al-Majid vorstellte, erwartete mich. Dies war Tomas’ Kollegin. Ich hatte mit jemand viel Jüngerem gerechnet. »Herzlich willkommen, Sir«, sagte sie, nachdem ich sie begrüßt hatte. Ihr Englisch war holprig, aber wir konnten uns ganz gut miteinander verständigen.
Ich erinnerte mich daran, wie oft ich in meiner Jugend davon geträumt hatte, mit Samuel durch diese Flure zu wandern. Dass ich jetzt tatsächlich an diesem Ort war, überwältigte mich für einen kurzen Moment. Unser Weg führte uns durch die assyrische Galerie. An ihrem Eingang saßen die massigen Lamassu mit ihren Stierkörpern, ihren Flügeln, den Menschenköpfen, Haarzöpfen und gehörnten Helmen. Jede Statue verfügte über fünf Beine, die dergestalt angeordnet waren, dass sie von vorne, hinten und von der Seite betrachtet jedes Mal vierbeinig erschienen. Der Boden der Galerie war mit Schutt und Abfall übersät, aber die lebensgroßen Reliefs der assyrischen Könige und Apkallu ringsum im Saal waren Gott sei Dank unversehrt. Ich blieb vor dem wundervollen Porträt eines Mannes stehen, der die Zügel zweier Pferde in der Hand hielt. Es war wenigstens genauso perfekt ausgeführt, wie die viel später von den Römern und den Griechen geschaffenen Skulpturen.
Meine Führerin rief mich weiter. Unsere Schritte hallten in der Leere der Flure wider. Ich war zutiefst betrübt über das, was gestohlen oder zertrampelt und daher für immer verloren war. Nichts ändert sich. Alle mesopotamischen Städte waren im Altertum zerstört worden. Mehr als zweitausend Jahre später geschah genau das Gleiche ein zweites Mal.
Ich konnte erkennen, dass große Anstrengungen unternommen wurden, die Unordnung zu beseitigen, obgleich viele Bereiche noch in Trümmern lagen. Wir wanderten durch einen breiten Korridor mit kleinen, quadratischen Maueröffnungen auf einer Seite, durch die Tageslicht eindringen konnte. Auf einem Podest an der Seite stand eine Statue ohne Kopf. Als sie meinen Blick gewahrte, errötete Hanufa und meinte: »Der Kopf fehlte schon immer. Er verschwand vor längerer Zeit. Es waren keine Plünderer.« Ich konnte ihre tiefe Trauer über den augenblicklichen Zustand des Museums nachempfinden.
Ein irakischer Wächter mit einem AK -47-Sturmgewehr saß in einer der Restaurationswerkstätten an einem kleinen Tisch, umgeben von Regalen mit Hunderten von Tongefäßen jeglicher Art. Scherben lagen haufenweise herum; einige sogar noch mit den Registrierungsnummern des Museums versehen, aber alle ein Opfer der Plünderer, die hier gewütet hatten. Ich fragte mich, ob dies der Raum war, in dem Samuel die Schrifttafel aufbewahrt hatte.
Sie deutete auf die Trümmerhaufen. »Es tut mir leid – dass es hier so schlimm aussieht. Wir haben keinen elektrischen Strom. Die meisten Angestellten sind geflüchtet. Es wird lange dauern, all das wieder in Ordnung zu bringen.« Die arme Frau sah aus, als trüge sie die Last des gesamten Museums auf ihren Schultern.
Ich ging etwas schneller, um zu ihr aufzuschließen. »Haben Sie vielleicht ein Telefon? Ich muss ein dringendes Gespräch führen.« An ihrem
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