Backup - Roman
ließ Dan auf der Terrasse zurück und setzte mich aufs Bett.
»Ich bin drauf und dran überzuschnappen oder so was«, erklärte ich. »Ich habe idiotische und zum Teil gewalttätige Dinge getan. Irgendwas stimmt nicht mit mir.« Ich hatte mir die Worte vorher zurechtgelegt, aber sie kamen mir trotzdem nicht leicht über die Lippen.
»Wir wissen beide, was nicht stimmt, Julius«, erwiderte der Doktor ungeduldig. »Sie müssen sich aus Ihrem Backup rekonstruieren und auf einen neuen Klon übertragen lassen und diesen Körper in den Ruhestand versetzen. Das haben wir doch alles schon durchgekaut.«
»Das geht nicht«, sagte ich, ohne ihm in die Augen zu sehen. »Es geht einfach nicht – gibt’s denn keine andere Möglichkeit?«
Der Doktor schüttelte den Kopf. »Julius, mir stehen nur begrenzte Kapazitäten zur Verfügung. Es gibt eine sichere Behandlungsmöglichkeit für Ihr Leiden, aber wenn Sie diese Möglichkeit nicht wahrnehmen wollen, kann ich wenig für Sie tun.«
»Aber was ist mit Medikamenten?«
»Ihr Problem ist kein chemisches Ungleichgewicht, es ist ein geistiger Defekt. Ihr Gehirn ist beschädigt , mein Junge. Medikamente können lediglich die Symptome kaschieren, während es
noch schlimmer wird. Ich kann Ihnen leider nicht sagen, was Sie gern hören würden. Also, wenn Sie zu der Behandlung bereit sind, kann ich diesen Klon sofort in den Ruhestand versetzen und Sie innerhalb von achtundvierzig Stunden in einem neuen wiederherstellen.«
»Gibt’s denn keine andere Möglichkeit? Wirklich nicht? Sie müssen mir helfen – ich kann doch nicht einfach alles aufgeben.« Ich konnte ihm nicht die wahren Gründe dafür nennen, dass ich so sehr an diesem einzigartig elenden Kapitel meines Lebens hing. Nicht einmal mir selbst mochte ich die wahren Gründe eingestehen.
Der Doktor stand auf und wollte gehen. »Hören Sie, Julius, Sie haben nicht so viel Woppel, dass es sich für irgendjemanden rentieren würde, sich mit viel Zeitaufwand eine neuartige Lösung für Ihr Problem einfallen zu lassen. Ich kann Ihnen Beruhigungsmittel und Stimmungsaufheller geben, aber das ist keine Dauerlösung.«
»Wieso nicht?«
Er zuckte zusammen. »Sie können sich nicht für den Rest Ihres Lebens zudröhnen, Junge. Früher oder später wird etwas mit diesem Körper passieren – ich konnte Ihrer Datei entnehmen, dass Sie ein hohes Schlaganfallrisiko haben –, und eine Rekonstruktion aus dem Backup könnte dieses Risiko minimieren. Je länger Sie warten, desto traumatischer wird es für Sie. Mit Ihrem derzeitigen
Egoismus schaden Sie nur Ihrem künftigen Selbst.«
Es war nicht das erste Mal, dass auch mir dieser Gedanke gekommen war. Aber mit jedem weiteren Tag wuchs mein Widerstand gegen die Behandlung. Dabei hätte ich mich einfach hinlegen können, und wenn ich aufwachte, würden Dan und ich wieder Freunde sein und ich wäre in Lil verliebt. Ich würde aufwachen und das Spukhaus so vor Augen haben, wie ich es in Erinnerung hatte, und die Halle der Präsidenten so wie an dem Tag, als Lil einem Präsidenten den Kopf in die Eingeweide gesteckt hatte. Ich hätte mich hinlegen können, um ohne ein Gefühl der Demütigung aufzuwachen, ohne das Wissen, dass meine Geliebte und mein Freund bereit waren, mich zu betrügen, mich betrogen hatten.
Aber ich konnte es nicht tun – jedenfalls jetzt noch nicht.
Dan – Dan würde sich bald umbringen, und wenn ich mich aus meinem alten Backup wiederherstellen ließ, würde ich mein letztes Jahr mit ihm verlieren. Ich würde sein letztes Jahr verlieren.
»Vertagen wir das, Doktor. Ich habe verstanden, was Sie mir sagen wollen, aber es gibt da gewisse Probleme. Ich glaube, ich beschränke mich vorläufig auf die Beruhigungsmittel.«
Er sah mich frostig an. »Ich schreibe Ihnen ein
Rezept. Aber dazu hätte ich nicht herkommen müssen. Bitte rufen Sie mich nicht mehr an.«
Über seine offensichtliche Verärgerung war ich zwar bestürzt, aber ich verstand sie erst, als er gegangen war und ich Dan erzählte, was geschehen war.
»Wir Veteranen stellen uns Ärzte immer noch als hochqualifizierte Profis vor – so wie’s vor der Bitchun Society gewesen ist. Wir denken dabei an ein ewig langes Medizinstudium mitsamt klinischer Ausbildung und jeder Menge Anatomie … In Wirklichkeit wissen normale Ärzte heute mehr über das Verhalten am Krankenbett als über Biowissenschaften. ›Doktor‹ Pete ist ein Techniker, kein Doktor med., zumindest nicht in dem Sinne, wie wir beide es von
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