Bad Fucking
jugendliche Rucksacktouristen den Schließfächern näherten, reagierte sie blitzschnell. Sie eilte zum Fach mit der Nummer 13, gab den Code ein und sah, dass es leer war. Milena drehte sich um, steckte den Chip in ihre Umhängetasche und wollte so schnell wie möglich verschwinden, als sie merkte, dass sie in eine Falle getappt war. Links und rechts von ihr standen plötzlich zwei Typen, die mit ihren Sonnenbrillen, Strohhüten und Stadtplänen auf den ersten Blick wie Touristen aussahen. Einer der Männer, ein bulliger Typ um die dreißigmit Schnauzbart und Mundgeruch, sagte ihr auf Tschechisch, dass sie ihnen den Chip geben solle und dann verschwinden könne. Milena benötigte einige Sekunden, um sich ein Bild von der Lage zu machen. Klar war, dass sie nicht um Hilfe rufen konnte. Wie hätte sie der Polizei die Pistole in ihrer Tasche und die Perücke auf ihrem Kopf erklären sollen? Klar war aber auch, dass sie den Chip unter keinen Umständen hergeben wollte. Die beiden Männer, die sich immer wieder umsahen, drückten Milena gegen die Schließfächer und forderten sie erneut auf, ihnen den Chip auszuhändigen. Nach einer kleinen Rangelei gelang es Milena, sich vom Schließfach zu lösen, was die Typen aber nicht daran hinderte, sie weiterhin an den Armen festzuhalten.
Bereits beim Betreten des Westbahnhofs hatte Milena festgestellt, dass die gesamte Anlage eine riesige Baustelle war. Überall gab es provisorische Holztreppen, Absperrungen, Bauzäune und Umleitungen. Wenn sie eine Chance haben wollte, ihren Bewachern zu entkommen, musste sie sich so schnell wie möglich Richtung Ausgang bewegen. Als einige Passanten bereits interessierte Blicke auf die merkwürdige Dreiergruppe warfen, versuchte Milena, ein paar Schritte nach vorne zu machen. Den beiden Männern blieb gar nichts anderes übrig, als sich eng an Milena zu schmiegen, wodurch die drei wie siamesische Drillinge aussahen. Unter den gegebenen Umständen konnte Milena zwar nur kleine Schritte machen, kam auf diese Weise aber dem Ausgang zumindest schrittweise näher. Zum Glück für Milena patrouillierten die Polizisten in Sichtweite, weshalb die beiden Männer kein Aufsehen erregen durften.
Jetzt war der provisorische Ausgang noch etwa zwanzig Meter entfernt, und Milena sah, dass es auf dem Platzdavor ziemlich chaotisch zuging. Autos parkten in zweiter Spur, Bauarbeiter dirigierten LKWs durch Parklücken und Reisende warteten auf Taxis. Milena und ihre Begleiter hatten sich stillschweigend auf ein gemeinsames Tempo geeinigt, das von Milena vorgegeben wurde. Das merkten auch die beiden Männer, die immer nervöser wurden. »Verdammt noch mal«, sagte jetzt der zweite auf Tschechisch, »gib uns sofort den Chip, oder du bekommst Probleme.« Um seiner Drohung Nachdruck zu verleihen, zwickte er Milena so fest in den Oberarm, dass sie kurz aufschrie und sich dabei losriss. Das war ihre Chance. Während sich ihre Bewacher verdutzt ansahen, klemmte sich Milena ihre Tasche unter den Arm und sprintete los. Die beiden nahmen sofort die Verfolgung auf und rannten ein paar japanische Touristen über den Haufen. »Halt, halt, stehenbleiben!«, riefen jetzt auch die Polizisten, die es angesichts der Hitze aber vorzogen, die Amtshandlung gleich wieder abzubrechen. Schließlich war ja nicht erkennbar, ob ihr Eingreifen überhaupt nötig war, und außerdem gab es in der Wachstube bald Kebab vom Türken. Mit viel Zwiebeln und Ketchup.
Milena lief an Radfahrern, Fußgängern, Schülern und Müllmännern vorbei und verschwand irgendwann im Eingang eines Hauses.
Veronika Sandleitner wusste, dass sich eine solche Chance nur einmal bot. Das war auch der Grund, weshalb sie so aufgewühlt war, als sie auf Dr. Ulrich wartete, der um vierzehn Uhr die Fotos abholen wollte. Sie sah alles ganz klar vor sich: Bereits in ein paar Tagen konnte sie den Kredit zurückzahlen, und einer Übersiedelung nach Wien stand nichts mehr im Weg. Es war wie im Märchen.
Als Dr. Ulrich das Fotogeschäft betrat, bekam Veronika Sandleitner weiche Knie.
»Ich möchte die Fotos abholen, die heute Früh abgegeben wurden«, sagte der Zahnarzt unfreundlich.
»Hier sind die Fotos.« Veronika deutete auf den Stapel, der vor ihr lag. »Möchten Sie sie vorher noch ansehen?«
»Nein, nein, geben Sie her, bezahlt sind sie ja bereits.«
»Ja, das schon«, sagte Veronika und schob Dr. Ulrich das Foto entgegen, das er am Vortag in seiner Ordination gemacht hatte.
Dr. Ulrich starrte auf das Foto.
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