Bärenmädchen (German Edition)
eine Person zu, die wie ein Feldherr Ordnung ins Chaos brachte. Der Mann - er sah tatsächlich wie eine erwachsene Ausgabe von Dennis aus - dirigierte Kellnerinnen, schmeckte Essen ab, erteilte Zubereitungsanweisungen und das alles auf wunderbare Weise irgendwie gleichzeitig. Er wirkte nicht unsympathisch und strahlte sogar eine gewisse wohlwollende Wärme aus, als er auf Anne blickte. Er wies sie an, sich einfach eine Beschäftigung zu suchen, die ihren Fähigkeiten entsprach.
So huschte Anne davon und versuchte sich nützlich zu machen. Sie wusste nicht, ob das Küchenpersonal zur Organisation gehörte. Falls nicht - das war klar -, bot sie mit dem Halsband und dem Glöckchen an ihrer Nase einen ziemlich exotischen Anblick. Von den Frauen schauten sie manche abfällig an, andere aber auch bewundernd. Die Männer hatten allerdings eindeutig Schwierigkeiten, sich auf ihre Arbeit zu konzentrieren, wenn sie an ihnen vorbeiglitt. Einer von ihnen zerteilte gerade mit einem großen Messer Ananasfrüchte. Als Anne ihn fragte, ob sie ihm helfen könne, schnitt er sich tief in den Finger.
Da rief sie Dennis‘ Vater wieder zu sich. Bevor sie in seiner Küche ein noch größeres Blutbad verursache, habe er eine andere Aufgabe für sie. Sein Sohn werde ihr alles erklären und sie an ihren Arbeitsplatz bringen. Da spürte sie auch schon wieder die kleine Hand von Dennis in der ihren und ließ sich bereitwillig aus der Küche führen. Es ging einen kurzen dunklen Seitengang entlang zu einer Empore. Ein paar steinerne Treppenstufen führten hinauf. Oben war ein halbrundes Fenster zu sehen. Anne meinte, Stimmengewirr und Musik von dort zu hören.
„Da oben ist unser Beobachtungsposten für das Willkomensfest“, erklärte der Junge. „Du musst von dort aus schauen, ob auf den Tischen und auf dem Büffets noch Mineralwasser, Wein, Bier und alles andere da ist. Ich komme alle 30 Minuten zu dir und Du sagst mir dann, was fehlt und was wir noch herausbringen müssen.“
Anne salutierte ebenso zackig wie spaßhaft und erklärte: „Jawohl Herr Grillkönig, oh Verzeihung ich meine natürlich Dennis.“
Zum ersten Mal sah sie den Jungen lachen. Dann fragte er schüchtern, ob er einmal ihr Glöckchen an der Nase berühren dürfe.
Anne hockte sich so hin, dass sie auf einer Augenhöhe mit ihm war: „Du interessierst dich ja früh für so etwas“, entgegnete sie. Dann fühlte sie seine kleine Hand, die vorsichtig den Ring und das Glöckchen abtastete. Diese Berührung war so sanft und zärtlich, dass sie Anne fast sofort wieder in tiefste Traurigkeit stürzte. Oh je, warum musste sie nur immer weinen? Erschrocken fragte der Junge, ob er ihr wehgetan habe? Anne schüttelte lächelnd und weinend den Kopf. Leise und fein erklang dabei das Glöckchen.
„Gefällt es dir?“, fragte sie ihn.
„Magst du es denn?“, wollte der Junge wissen.
Anne gab die aufrichtigste Antwort, die ihr spontan einfiel: „Ja, wenn ich ehrlich bin, irgendwie schon.“
Als der Junge dann seine Hand wieder wegnahm, richtete sie sich auf und wandte sich der Empore zu.
„Danke, dass du es mir gezeigt hast“, sagte der Junge und Anne musste wieder lächeln über diese unerwartete Höflichkeit. Das war im Schloss nicht gerade der übliche Umgangston für ihresgleichen.
Der Junge verschwand dann in der Küche und sie ging die Stufen zur Empore hinauf. Was für ein Luxus sie dort erwartete. Ihr Vorgänger, wer auch immer es gewesen war, hatte jede Menge Kissen und Decken zurückgelassen. Sie kuschelte sich wie ein Katzenjunges in dieses gemütliche Nest. Dann blickte sie durchs kleine Fenster in den angrenzenden Saal nebenan und kam aus dem Staunen nicht heraus.
10. Kapitel:
Herrenrunde
Als bizarre, aber sehr förmliche und zeremonielle Veranstaltung hatte Anne sich das Willkommensfest vorgestellt. Jetzt blickte sie auf die heißeste Party herunter, die sie seit langem gesehen hatte. Der Saal war gut gefüllt und geschickt in gelb, orange und rot ausgeleuchtet, nicht zu dunkel, nicht zu hell. Sie sah hinreißend gestylte Frauen mit erregten, fast fiebrigen Augen, ihre Körper ein einziges verlockendes Versprechen. Die Männer, fast alle ziemlich edel und elegant gekleidet, schauten voller Bewunderung und Verlangen auf diese Geschöpfe. Hier schien es weder Alphas noch Betas zu geben, weder Herren noch Dienerinnen. Im Gegenteil, die Verhältnisse waren fast umgekehrt und die Atmosphäre flirrte und vibrierte geradezu vor
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