Bahama-Krise
hört man auf zu trauern, Tom. So ist es nun
einmal im Leben.«
»Ja«, sagte ich, um etwas zu sagen. Es hatte wenig Sinn, ihm
zu widersprechen, obwohl ich wußte, daß er sich irrte. Ich wußte damals
schon, daß ich um Julie und Sue für den Rest meines Lebens trauern
würde.
»Wie geht es weiter? Was wirst du jetzt tun?« fragte er.
»Ich weiß nicht.«
»Wach aus deinem Traum auf!« sagte er warnend. »Du kannst
nicht alles schleifen lassen, weil Julie nicht mehr ist. Du stehst
einem Unternehmen vor, und es gibt Menschen, deren Schicksal von dir
abhängt. Damit meine ich nicht nur deine Tochter. Du bist doch noch
jung, nicht wahr? Wie alt bist du?«
»Zweiundvierzig.«
»Jung genug, um wieder zu heiraten.«
»Darüber möchte ich jetzt noch nicht nachdenken«, sagte ich
wütend. »Es ist knappe drei Tage her, daß ich Julie verloren habe. Und
vielleicht –«
»Vielleicht ist sie noch am Leben, meinst du? Schlag dir
solche Ideen aus dem Kopf, wenn du nicht verrückt werden willst, Tom!«
Ich antwortete ihm nicht. Ein langes Schweigen stand zwischen
uns.
»Was wird aus Karen?« sagte er schließlich.
»Ich habe noch nicht darüber nachgedacht.«
»Das solltest du aber tun. Debbie kümmert sich ja in sehr
netter Weise um sie, aber sie wird bald abreisen, wie sie mir sagte.
Spätestens dann mußt du dich um Karen kümmern. Und dann stehst du vor
einem Problem. Du kannst nicht gleichzeitig ein großes Unternehmen
leiten und ein neunjähriges Kind erziehen. Eins von beiden kommt dabei
zu kurz.«
»Ich könnte eine Frau anstellen, die sich um sie kümmert.«
Er wiegte den Kopf. Offensichtlich schien ihm die Idee nicht
besonders zu gefallen. Mir ging es ebenso. Ich hatte den Vorschlag
gemacht, ohne darüber nachzudenken.
»Ellen und ich haben uns über die Sache unterhalten«, sagte
er. »Wir könnten Karen zu uns nehmen, bis hier alles wieder in
geordneten Bahnen läuft.«
»Das ist wirklich nett von euch.«
»Nur gesunder Menschenverstand«, wehrte er ab. »Karen würde
bei ihren Blutsverwandten aufwachsen. Andererseits, ich dachte
eigentlich, wir wären jetzt aus dem Alter heraus, wo man Kinder
aufzieht.«
»Das meine ich auch«, sagte ich. »Meine Schwester Peggy hat
mich heute angerufen und mir einen Vorschlag gemacht. Sie würde Karen
zu sich nach Abaco nehmen, zumindest für die erste Zeit. Sie hat selbst
zwei Kinder, so daß Karen nicht allein aufwächst.«
Das Gesicht meines Schwiegervaters hellte sich auf.
»Vielleicht ist es besser so«, sagte er und lächelte. »Wenn Kinder von
ihren Großeltern erzogen werden, dann werden es manchmal recht
schwierige Menschen. Immerhin ist es gut, daß wir darüber geredet
haben. Du mußt jetzt an die Zukunft denken, Tom.«
Wenig später wechselten wir das Thema. »Es gibt da etwas, was
ich nicht verstehe«, sagte ich. »Perigord leitet die Untersuchung
persönlich. Warum? Er ist einer der ranghöchsten Polizeibeamten von
Grand Bahama. Warum tut er das, wenn er es wirklich nur für einen
Unglücksfall hält?«
»Du machst dich selbst kleiner, als du bist«, sagte mein
Schwiegervater. »Du bist wohl der prominenteste Bürger auf der Insel.
Warum sollte sich also nicht der ranghöchste Beamte um die Sache
kümmern? Hast du nicht gesagt, daß er Julie persönlich gekannt hat?«
»Ja, das hat er mir erzählt. Er hat sie einmal auf dem
Elternabend in der Schule getroffen.«
»Siehst du. Vielleicht fühlt er sich aus diesem Grund
verpflichtet, sich der Angelegenheit persönlich anzunehmen.«
»Mag sein. Aber es gibt noch etwas anderes. Dieser Inspektor
Hepburn. Luke sagt, er ist vom Sonderkommando für Drogen. Hepburn hat
Petes Räume inspiziert. Warum? Es steckt irgend etwas dahinter, wovon
die beiden mir gegenüber keinen Ton gesagt haben.«
»Deine Phantasie geht mit dir durch«, sagte er. »Hepburn war
vielleicht der einzige Beamte, der gerade verfügbar war, um Perigord zu
begleiten. Du mußt da nichts hineingeheimnissen.« Er stand auf und
streckte sich. »Ich gehe zu Bett. Ich bin auch nicht mehr der Jüngste.«
Nachdenklich sah er mich an. »Du weißt, daß ich bis vor drei Jahren
noch als Arzt gearbeitet habe«, sagte er. Ich nickte. »Ich habe viele
Todesfälle miterlebt und war dabei, wenn den Familien die Nachricht
überbracht wurde. Sag mal, Tom, hast du, seit Julie verschwunden ist,
eigentlich schon einmal geweint?«
»Nein«, sagte ich.
Er ging zum Barschrank, goß ein Glas Brandy ein und brachte es
mir. »Trink das, und sei nicht so
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