Bahama-Krise
der wir Sie unterziehen mußten?«
»Ich bin okay«, sagte ich knapp.
Er holte einen kleinen Metallzylinder aus der Tasche und hielt
ihn gegen das Licht. Es sah aus wie eine kleine Gewehrpatrone. »Das ist
das Mittel, das wir benutzt haben. Die NATO-Truppen sind damit
ausgerüstet, für den Fall, daß sie mit Nervengas angegriffen werden.
Man legt die Spitze der Hülse an den Arm oder an das Bein, sehen Sie,
so, und drückt auf das stumpfe Ende. Durch den Druck der eingebauten
Springfeder wird eine Injektionsnadel durch die Kleidung ins Fleisch
getrieben, dann wird Atropin injiziert. Alles automatisch und ohne
Krankenschwester. Ich gebe zu, daß die Nadel nach dem Durchstechen der
Kleidung nicht mehr keimfrei ist, es besteht also die Gefahr einer
Tetanus-Infektion. Aber das ist ein Risiko, das man in Kauf nehmen
kann. Denn wenn kein Atropin injiziert wird, stirbt der Soldat an
Herzversagen. Nun, Sie sind kein Soldat, und tot sind Sie auch nicht.
Ich denke, Sie haben nicht einmal den Stich der Nadel verspürt,
stimmt's?«
»Das ist richtig.«
»Natürlich haben wir in Ihrem Falle kein Atropin verwandt«,
sagte er und lächelte. »Sondern ein Derivat des Pfeilgiftes Curare. Man
verwendet dieses Derivat zur Lockerung der Muskeln bei der elektrischen
Schocktherapie. Wie dem auch sei, Sie können von Glück sagen, daß wir
keine mittelamerikanischen Guerillas sind. Die verwenden bei ihren
ambulanten Injektionen ein überaus tödliches Zeug.« Er kniff
schmerzlich die Augen zusammen. »Allerdings sehr nützlich beim
Straßenkampf, wenn der Gegner mit guten Worten nicht zu überzeugen ist.«
»Sehr aufschlußreich«, sagte ich. »Sie haben mich sicher nicht
hergebracht, um mich über das Anwendungsspektrum für die Derivate der
Pfeilgifte aufzuklären.«
Er lachte. »Wenn ich Sie mit diesen netten Einzelheiten
vertraut mache, dann hat das einen tieferen Sinn«, sagte er. »Ich
möchte Ihnen damit klarmachen, daß Sie sich in der Gewalt von Personen
befinden, die bereits über die Erfindung des Faustkeils hinaus gediehen
sind. Sie sollten daran denken, Mr. Mangan, für den Fall, daß Sie
vorhaben, irgendwelche Dummheiten zu begehen. Sie haben keine Chance.«
»Wer sind Sie?«
»Ist das wichtig?« Er machte eine wegwerfende Handbewegung.
»Nun gut, Sie möchten mich mit irgendeinem Namen anreden. Nennen Sie
mich – Robinson.«
»Also gut, Mr. Robinson. Warum bin ich hier? Was wollen Sie
von mir?«
»Ich versichere Ihnen, ich werde Ihnen das zur gegebenen Zeit
mitteilen.« Er fixierte eine Stelle über meinem Kopf. »Eigentlich
wollte ich jetzt mit Ihrem Verhör beginnen. Aber ich habe es mir gerade
anders überlegt. Meinen Sie nicht auch, daß es von Intelligenz zeugt,
wenn man Flexibilität an den Tag legt?«
Er sprach mit einer unangenehmen Pedanterie. Sein Ton und
seine Wortwahl entsprachen den Formulierungen, die in den beiden
Mitteilungen verwendet worden waren. Ganz offensichtlich war er der
Mann, der die Briefe geschrieben hatte.
»Ich muß sagen, daß sich mein Interesse an Ihrer Intelligenz
in Grenzen hält«, antwortete ich. »Ich möchte jetzt meine Frau sehen.«
Sein Blick kehrte von der Stelle hinter mir, die er die ganze
Zeit fixiert hatte, zurück. »Sie werden sie sehen,
mein lieber Freund. Und nicht nur das. Sie werden sogar mit ihr allein
sein. Sie werden sich frei unterhalten können. Ich bin sicher, Ihre
Frau hat Ihnen viel zu erzählen – und umgekehrt. Das macht das
Verhör, das dann folgen wird, ergiebiger.« Er lächelte. »Und zugleich
leichter.«
»Hören Sie auf, Süßholz zu raspeln, und holen Sie jetzt meine
Frau.«
Er betrachtete mich wie ein aufgespießtes Insekt. Dann
schüttelte er mißbilligend den Kopf. »Mr. Mangan, Sie gleiten in die
Umgangssprache der niederen Kreise ab. Trotzdem werde ich ihrer, wie
sollen wir es nennen, Anregung Folge leisten. Sie werden Ihre Frau
sehen, und zwar sofort.«
Er tastete nach dem Türknopf hinter sich, öffnete und ging
hinaus. Der Mann mit dem Revolver folgte ihm, wobei er die Waffe bis
zuletzt auf mich gerichtet hielt. Dann wurde die Tür verschlossen.
Ich dachte nach. Der Mann mit dem Revolver war Texaner, er
hatte den typischen Drawl des Südens gesprochen. Robinson indes war
viel schwieriger einzuordnen. Akzent und Ausdrucksweise wiesen auf
einen längeren Aufenthalt in England hin. Es mußte sich um einen Mann
der Oberschicht handeln. Oder um jemanden, der eine Zeitlang in dieser
Oberschicht gelebt hatte. Dieser Mann war kein
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